Uli Hoeneß ist schon weg, Karl-Heinz Rummenigge ist es bald – beim FC Bayern München ist der große Umbruch auf der Führungsebene in vollem Gange. Wer hat künftig das Sagen und damit die Macht?

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart/München - Immerhin, der neue Ober-Bayer in der Führungsetage hat vom Vorzeige-Bayern auf dem Platz schon mal die Absolution bekommen. Oliver Kahn, so sagt es Thomas Müller, mache einen „zielstrebigen, aber entspannten Eindruck“. Und weiter: „Es werden keine hektischen Entscheidungen aktuell getroffen.“

 

In aller Ruhe machen sie sich gerade gegenseitig Komplimente beim FC Bayern. Der Müller lobt den Kahn nach dessen ersten hundert Tagen im Vorstand, der Kahn lobt den Trainer Hansi Flick, der wie Müller kürzlich einen neuen Vertrag unterschrieb– und der Müller schließt den Kreis und lobt den Flick am Ende brav zurück.

So läuft das in München, alle scheinen sich lieb zu haben. Alle rücken zusammen, sie tun das, was in der Corona-Krise üblich ist, nur im übertragenen Sinn. Wer nun aber nach all den verbalen Busserln denkt, dass sie sich da beim Rekordmeister nach dem Überstehen aller Kontaktverbote nur noch in den Armen liegen werden, wer also denkt dass es in den nächsten Monaten eher langweilig wird an der Säbener Straße, der liegt wohl daneben.

Denn das aktuelle Wohlfühlklima ist nur das eine – die andere, weitaus spannendere Frage ist, wie sich der FC Bayern mit seiner neuen Führungsmannschaft den nächsten Monaten genau aufstellen wird. Oder: Wie das Münchner Machtgefüge der Zukunft aussieht.

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Oliver Kahn, so viel ist klar, wird der neue starke Mann. Vom 1. Januar 2021 an ist er der neue Vorstandschef und löst damit Karl-Heinz Rummenigge ab. Bisher lief das bei Kahn in den ersten Monaten der Einarbeitung in der Vorstandschaft des FC Bayern noch so ab: Er hörte sich um bei den Mitarbeitern, er schnupperte rein in die Abteilungen, er machte sich ein Bild, wie das so schön heißt. Spätestens in der Corona-Krise aber übernahm Kahn das Zepter – hörbar für die Mitarbeiter, und sichtbar für die Außenwelt. Der einstige Welttorhüter richtete sich in einer Video-Ansprache zum Thema Corona an die über 1000 Club-Mitarbeiter – gemeinsam mit Trainer Hansi Flick.

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Kahn, von 1994 bis 2008 Bayern-Torhüter, formulierte auch schon erste Leitsätze. „Siegermentalität, Demut, Disziplin und Durchhaltevermögen gehören genauso zum Anforderungsprofil des FC Bayern wie die sportliche Qualität des Spielers“, ist einer davon. Kahn wird der Chef sein und damit auch zuständig für die großen Transfers – und für die möglichen Vertragsverlängerungen mit einigen aktuellen Stars.

Kahn entwickelt mit Flick die Spielkultur

Auch auf den Trainer Hansi Flick wird bei diesen Fragen gehört – mehr denn je. Bis 2023 läuft Flicks Vertrag, und seine Kompetenzen enden nicht an der Seitenlinie. Nach seinen 18 Siegen aus 21 Pflichtspielen war die ehemalige Zwischenlösung Flick in einer so guten Verhandlungsposition, dass er sich im Zuge seines neuen Vertrags als Cheftrainer auch ein Mitspracherecht bei Transfers erkämpfte – was Oliver Kahn flugs mitteilen durfte in seiner neuen Rolle. Er wolle, so Kahn, „die Idee von Vereins- und Spielkultur“ gemeinsam mit Flick entwickeln.

Flick hatte schon im Januar Zugänge gefordert, erst intern, irgendwann öffentlich – der Sportdirektor Hasan Salihamidzic dagegen hatte stets betont, dass er zwar den Markt beobachte, dass er aber auch zufrieden mit dem Kader sei. Es kam zwar nur der Leihspieler Álvaro Odriozola, aber es war dennoch ein kleiner Erfolg für Flick im Kräftemessen mit Salihamidzic. Der Coach hat nun mit dem neuen Vertrag einen veritablen Punktsieg erzielt.

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So weit also ist es gekommen – der nette Hansi, von vielen Experten einst als ewiger Löw-Assistent abgestempelt, ist sicher immer noch nett, der Mann weiß aber , was er will. Und er weiß, dass er nicht nur seine Mannschaft, sondern den ganzen Club hinter sich hat. Nicht selten wird Flick schon jetzt intern mit einem gewissen Jupp Heynckes, dem Triple-Trainer von 2013, verglichen. Die Gelassenheit, die Fähigkeit, die Spieler anzusprechen, dazu ein klarer Offensivplan auf dem Platz: Das alles hätten die beiden Trainer gemeinsam. Allein: Flick wird seine dauerhafte Eignung als Bayern-Chefcoach erst noch unter Beweis stellen müssen.

Wie arbeitet das neue Dreigestirn zusammen?

Das aber wird aktuell, wenn überhaupt, nur am Rande thematisiert beim FC Bayern – ins Bild der allgemeinen Münchner Vertrautheit passt es da, dass bei näherem Betrachten alle Verantwortlichen der Zukunft eine veritable Vergangenheit beim FC Bayern haben. Flick war jahrelang Profi, Kahn und Salihamidzic waren es – und der Präsident Herbert Hainer saß jahrelang im Aufsichtsrat. Mia san Mia also in Reinkultur – besonders spannend aber wird nun die Frage sein, wie das neue Dreigestirn aus dem neuen Vorstandschef Kahn, Cheftrainer Flick und Salihamidzic, der im Juli zum Sportvorstand befördert wird, zusammenarbeitet.

Insbesondere Salihamidzic scheint seine Rolle noch zu suchen: Behält er für sein Kernressort, den Transfers, so etwas wie eine Meinungshoheit? Oder wird er zerrieben zwischen den Interessen des Cheftrainers Flick, dem Mann also, dem nun weitreichende Kompetenzen bei Transferfragen übertragen wurden, und dem Chef Kahn, der am Ende ohnehin den Hut aufhat? Wird Salihamidzic also kein Vorstand, sondern womöglich eher ein Vorständchen? Es wird spannend beim FC Bayern.