Da brannte so manche Sicherung durch: Beim Esslinger Altstadtviertele waren nicht alle auf einer Wellenlänge. Bei der Debatte um Energie in der City und Solaranlagen auf den Altstadtdächern flogen die Fetzen..

Keiner wollte den Stecker ziehen. Die Diskussion war hitzig und energiegeladen. Denn der Titel „Energie für die Innenstadt“ wirkte elektrisierend und setzte einige der mehr als 130 Besucher des Esslinger Altstadtvierteles unter Strom. Das Organisationsquartett des offenen Bürgertreffs hatte den Themenkomplex zwar ausdrücklich breiter angelegt und wollte ihn nicht auf die Debatte um Photovoltaik-Anlagen in der historischen Innenstadt reduziert wissen. Dennoch sorgte gerade dieser Streitpunkt für explosiven Zündstoff.

 

Es knisterte im Bürgersaal des Alten Rathauses. Thomas Kielmeyer hatte als Besucher des Altstadtvierteles beim Aufregerthema Solarpanels in der City keine Sonne im Herzen. Der Esslinger Gaststättenbesitzer und Anbieter von Ferienwohnungen mit Immobilien in der Altstadt redete sich in Rage: „Ich resigniere vor meiner Obrigkeit. Ich werde von meiner eigenen Stadt ständig ausgebremst.“ Er könne die Argumente gegen PV-Anlagen auf Dächern der Innenstadt nicht mehr hören. Solarzellen könnten auf Gebäuden in der City so angebracht werden, dass sie nicht in die historische Gebäudesubstanz eingriffen, das Erscheinungsbild des Stadtkerns beeinträchtigten oder negative Auswirkungen auf die Optik hätten. Man müsse mit der Zeit gehen und dürfe sich erneuerbaren Energien nicht verschließen: „Auf dem Marktplatz stehen ja auch keine Pferdekutschen mehr, sondern moderne E-Autos.“ Esslingen verkomme durch diese ablehnende Haltung gegenüber regenerativen Energien zur Museumsstadt „auf Kosten von anderen Leuten“, die auf Solaranlagen verzichten müssten. Er selbst werde parallel zum offiziellen einen privaten Tag des offenen Denkmals auf die Beine stellen. Dabei wolle er die Lücke zwischen Anspruch und Realität des Denkmalschutzes aufzeigen: „Enden wird die Veranstaltung bei mir im Schnapskeller.“

Abseits von solchen alkoholischen Genüssen gab sich der Esslinger Baubürgermeister Hans-Georg Sigel als Referent und Podiumsteilnehmer beim Altstadtviertele betont nüchtern. Die Stadt dürfe sich nicht an Einzelinteressen orientieren, sondern müsse das Gesamtwohl im Blick haben: „Wir suchen nach Lösungen, um PV-Anlagen zu ermöglichen.“ Das Thema werde gerade von der Verwaltung aufgearbeitet und noch in diesem Jahr in die Entscheidungsgremien eingebracht: „Die Aussage ist nicht, dass es nicht geht. Die Frage ist, wie es geht.“ Die städtische Denkmalpflege entwickle dafür geeignete Rahmenbedingungen.

Der Baubürgermeister versuchte, die aufgeladene Stimmung durch Argumente zu beruhigen. Hans-Georg Sigel gab zu bedenken, dass der Bestand in der Altstadt nur ungefähr 5,92 Prozent aller Gebäude in Esslingen ausmache. Für die Energiewende in Deutschland seien aber etwa 46 Prozent der Dachflächen für Solaranlagen erforderlich: „Demzufolge ist die Errichtung solcher Anlagen in der Gesamtanlage von Esslingen für die Energiewende nicht ausschlaggebend.“ Die bisher „weitgehend unangetastete Dachlandschaft“ der Esslinger Altstadt sei ein Herausstellungsmerkmal, das für eine hohe Aufenthaltsqualität, eine Wohlfühlatmosphäre und Besucher sorgen würde. Die attraktive City sei ein wichtiger Standortvorteil bei der Suche nach Arbeits- und Fachkräften, ein Wirtschaftsfaktor etwa für Gastronomie und Einzelhandel, ein Pfund, mit dem die Stadt auch im Tourismus wuchern müsse. Dennoch könnten Solaranlagen denkmalverträglich installiert werden. Dies sei etwa durch matte Oberflächen, unauffällige Rahmen oder die Anbringung an nicht-einsehbaren Stellen möglich.

Eine Alternative stellte Solarexperte Felix Denzinger vor. Für Hausbesitzer oder Mieter, die an der eigenen Immobilie keine Anlagen zur Gewinnung regenerativer Energien anbringen könnten, würde sich ein genossenschaftliches Modell anbieten. Ein Beispiel für ein erfolgreiches Projekt dieser Art sei die Teckwerke Bürgerenergie in Kirchheim. Das Prinzip, führte Denzinger als Vorstandsmitglied aus, funktioniere ganz einfach: Privatpersonen oder Unternehmen können Mitglieder werden und eigenes Geld einbringen. Mit diesen Einlagen werden gemeinsam beschlossene Projekte zur Erzeugung erneuerbarer Energie wie Windparks, Solaranlagen, Blockheizkraftwerke oder Wasserkraftanlagen finanziert. Die Mitglieder erhalten daraus gewonnenen Strom, Gas oder Wärme zum Eigenverbrauch oder bekommen eine Dividende ausbezahlt. Die Energiegenossenschaft habe etwa 1000 Mitglieder, 15 Mitarbeitende und ein Bilanzvolumen von 6,5 Millionen Euro. Das sei eine attraktive Möglichkeit für eine eigene Teilnahme an der Energiewende, meinten einige der mehr als 130 Besucher des Altstadtvierteles: „Ein ähnliches Projekt wäre doch auch für Esslingen denkbar.“

Das Esslinger Altstadtviertele

Veranstaltung
Das Esslinger Altstadtviertele ist ein informeller Bürgertreff, bei dem zwei- bis vier Mal im Jahr aktuelle Stadtthemen aufgegriffen werden. Bei den Gesprächsabenden im Bürgersaal des Alten Rathauses werden unter der Regie wechselnder Moderatorenteams Impulsvorträge gehalten, über die dann diskutiert wird.

Organisatoren Das Esslinger Altstadtviertele steht unter dem Dach des Geschichts- und Altertumsvereins Esslingen (GAV). Das Organisationsquartett besteht aus der Politikwissenschaftlerin Sylvia Greiffenhagen, Pfarrer Christoph Schweizer, der Kulturhistorikerin Christel Köhle-Hezinger und dem frei beruflichen Bauforscher Markus Numberger.

Zukunft
Das nächste Esslinger Altstadtviertele ist für Februar 2023 geplant. Unter der Überschrift „Draußen ist das neue Drinnen“ wird es dann laut Veranstalter um Fluch und Segen der neuen Eventkultur in der Innenstadt gehen.