Solidarität geboten Wirtschaftsethiker: Corona-Verlierer im Blick behalten

Mit Milliarden stützt der Staat die Wirtschaft im Corona-Tief - könnten die Unternehmen selbst mehr tun? Haben die Gewinner der Krise gar eine moralische Verpflichtung, den Schwachen zu helfen?
Frankfurt/Main - Unternehmer sollten die Corona-Krise nach Ansicht von Wirtschaftsethikern zum Anlass für eine Neuausrichtung nehmen. "Solidarität ist das Stichwort der Stunde - auch in der Wirtschaft", sagte Hendrik Müller, Wirtschaftsethiker an der Hochschule Fresenius in Hamburg, der Deutschen Presse-Agentur.
"Unternehmen sollten die Zeit nutzen, ihre Geschäftsmodelle jetzt zu überdenken und zu überarbeiten oder sofern erlaubt kreative Lösungen wie die Abholung bestellter Waren anzubieten. Den Laden zusperren und darauf warten, dass die staatlichen Hilfsgelder fließen, ist zu wenig", sagte Müller.
Wie in jeder Krise gebe es Gewinner und Verlierer. Während etwa der Online-Handel boomt, kämpfen viele kleine Einzelhändler um ihre Existenz. Der Staat versucht, das Corona-Tief mit Hilfsmilliarden abzufedern. Sollten die Unternehmen sich auch untereinander mehr helfen? "Eine Abgabe der starken Unternehmen für die schwachen klingt zu schön, um wahr zu sein", meint Müller. "Aber Solidarität geht auch anders: So können zum Beispiel erfolgreiche Unternehmen kleineren Händlern ihre Infrastruktur zur Verfügung stellen."
Irina Kummert, Präsidentin des Ethikverbandes der deutschen Wirtschaft, hält es für schwierig, überhaupt zwischen Gewinnern und Verlierern einer Krise zu unterscheiden. "Wirtschaftliche Aktivitäten sind immer zyklisch. Mal stehen die einen besser da, mal die anderen", sagte Kummert im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Frankfurt. "Es gibt Geschäftsmodelle, die in bestimmte globale Umstände, die sich auch wieder ändern können, besser passen als andere. Und da frage ich mich schon, ob es tatsächlich eine gute Idee wäre, eine Art Branchensoli einzuführen."
Sollten Unternehmen in bestimmten Branchen auf freiwilliger Basis einander unterstützen wollen, "könnte das eine gute Idee sein", sagte Kummert. "Aber oktroyierte Solidarität halte ich nicht für sinnvoll."
Dem darbenden Einzelhandel in den Städten könnte nach Kummerts Ansicht besser auf anderen Wegen geholfen werden: "Ich glaube, wir sollten eher Ideen entwickeln, wie wir Menschen wieder vom Rechner wegholen und zum Einkaufen in die Innenstädte bekommen. Darauf würde ich eher setzen als auf die Wirksamkeit moralischer Appelle bei Onlinehändlern", sagte Kummert. "Man könnte die Nachfrage in den Städten zum Beispiel unterstützen, indem man unterschiedliche Mehrwertsteuersätze ansetzt: einen niedrigeren für das Einkaufen im Laden, einen höheren für Lieferungen."
Der Hamburger Wirtschaftsethiker Müller betonte: "Aus ethischer wie aus wirtschaftlicher Sicht ist es wünschenswert, dass die Verlierer nicht vollkommen auf der Strecke bleiben." Der Wettbewerb müsse erhalten bleiben. "Auch die Großen haben ein Interesse daran, dass es den kleinen Händler an der Ecke weiterhin gibt", sagte Müller.
© dpa-infocom, dpa:210120-99-96141/2
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