Das ärgert viele Zuschauer: In der warmen Sommerzeit fahren viele Sender auf Standgas und servieren ihnen die Sender fast nur Wiederholungen – denn das schont den Etat, zeugt aber von einer Amerikanisierung des Programms. Warum eigentlich? Und stimmt das überhaupt?

Stuttgart - Im Grunde wäre es zu keiner Zeit im Jahr so leicht wie jetzt, Topquoten zu erzielen: weil alle Sender nur noch mit Standgas fahren. Die Zuschauer würden vermutlich schon allein aus Dankbarkeit einschalten, wenn ein Sender mal einen frischen Filmknüller zeigte. Aber: „Rund ums Jahr Erstsendungen auszustrahlen ist weder finanzierbar noch sinnvoll“, rechtfertigt der ZDF-Sprecher Alexander Stock die sommerliche Sparflammenprogrammierung, „und derzeit liegt die durchschnittliche Sehdauer bei rund 80 Prozent der Sehdauer im Januar.“ Konkret heißt das, wie der ARD-Programmdirektor Volker Herres ergänzt: „Für die Hauptabendzeit lässt sich ein Unterschied von etwa fünf Millionen Zuschauern feststellen. Während an einem durchschnittlichen Wintertag etwa 35 Millionen Zuschauer gegen 21 Uhr fernsehen, liegt dieser Wert im Sommer bei circa dreißig Millionen.“

 

Alle Vollprogramme nutzen die Monate Juni bis August daher für eine überlebenswichtige Entlastung der Etats, denn Wiederholungen sind naturgemäß preiswerter als Erstausstrahlungen. Bei kommerziellen Sendern amortisieren sich eigenproduzierte Fernsehfilme in der Regel ohnehin erst bei der zweiten oder dritten Ausstrahlung. Umso ärgerlicher ist es aus Sicht der Zuschauer, wenn ausgerechnet jetzt Premieren gegeneinander laufen: Das ZDF zeigt derzeit dienstags frische Folgen der Krimiserie „Kommissar Stolberg“ zeitgleich gegen die ARD-Serie „Der Dicke“.

Ein beliebtes Argument der Programmplaner ist der Hinweis auf all jene, für die eine Wiederholung gar keine sei: Wenn ein Fernsehfilm bei der Erstausstrahlung 20 Prozent Marktanteil hatte, ist die zweite Ausstrahlung für die restlichen 80 Prozent eine Premiere. Oft haben Wiederholungen tatsächlich mehr Zuschauer als die Erstausstrahlung. Das war früher, als die meisten Haushalte nur eine Handvoll Programme empfangen konnten, naturgemäß anders. Wiederholungen aber gab es damals auch schon, obwohl ARD und ZDF bis zu Beginn der Neunziger noch nicht unter dem heutigen Sparzwang litten.

„Die Sommerpause ist ein Zeichen der Amerikanisierung“

Mittlerweile sind die Sender schon deshalb auf Wiederholungsstrecken angewiesen, weil sie gar nicht das Geld hätten, ihre festen Fernsehfilmtermine 52-mal im Jahr mit Erstausstrahlungen zu bestücken. Trotzdem hat das ZDF in den Achtzigern einen sogenannten Wunschfilm eingeführt, erinnert sich der Marburger Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger: Die Zuschauer konnten sich aussuchen, welcher Film wiederholt werden sollte. Schon damals seien Sender und Programmzeitschriften regelmäßig mit erbosten Zuschriften überschüttet worden, in denen über die vielen Wiederholungen geklagt wurde. Mit der Gründung der Privatsender änderte sich die Haltung allerdings: Dank geschickter Werbekampagnen galt plötzlich als „Kult“ und als „Klassiker“, was bis dahin so verpönt war. RTL und Sat 1 konnten sich keine frische Ware leisten. Gerade Sat-1-Besitzer Leo Kirch nutzte das Programm, um seinen umfangreichen Filmstock zu versenden und ließ sich vom eigenen Sender gut dafür bezahlen. Minisender setzen auch heute noch verstärkt auf das Beste von gestern: Von wenigen Ausnahmen abgesehen bestehen die Digitalkanäle von ARD (Eins Festival) und ZDF (ZDF neo) ausschließlich aus Wiederholungen. Gleiches gilt für das Tagesangebot vieler dritten Programme oder Kleinsender wie Tele 5. „Die Zukunft des Fernsehens ist das Archiv“, hieß es schon in den Neunzigern.

Dass sich die großen Vollprogramme heute von Ende Mai bis Anfang September in die Sommerfrische verabschieden, ist für Hallenberger „ein Zeichen der strukturellen Amerikanisierung“. Wie in den USA, so orientiert sich das Fernsehjahr mittlerweile auch bei uns nicht mehr am Kalenderjahr. Die Sender sprechen von der „TV-Saison“, die sich ähnlich wie die Fußballbundesliga vom Herbst bis zum Frühsommer erstreckt. Die Ausrichtung an amerikanischen Verhältnissen ist auch darauf zurückzuführen, dass US-Serien hüben und drüben fast zeitgleich anlaufen; also müssen hiesige Sender auch gleichzeitig Pause machen. Im europäischen Ausland ist die Sommerpause deshalb noch ausgeprägter als hierzulande, weil man dort noch stärker auf amerikanische Lizenzproduktionen setzt. Anders als im föderalen Deutschland mit seinen unterschiedlichen Ferienzeiten sind die Ferientermine in den meisten Ländern zudem zentral geregelt; in den entsprechenden Wochen macht auch das Fernsehen „dicht“.

Bei uns dagegen, beteuert Jan Peter Lacher, der Bereichsleiter der Programmplanung bei RTL, gebe es das klassische Sommerloch schon seit einiger Zeit nicht mehr: „Wenn man die einzelnen Tage durchgeht, wird man feststellen, dass der Wiederholungsanteil viel geringer ist als allgemein vermutet. Natürlich zeigen wir keine Blockbuster-Premieren, aber auch im Filmbereich gibt es einige Erstausstrahlungen.“ In den USA zeichnet sich zudem die Tendenz ab, im Sommer neue Serien und Formate auszuprobieren: „Gerade die kleinen Kabelsender nutzen diese Zeit gern, weil die großen Senderketten in dieser Zeit auf Sparflamme senden“, sagt Lacher und nennt als aktuelles Beispiel den Neustart von „Dallas“. Aber natürlich sei der Zeitraum zwischen Anfang September und Ende Mai „besonders nutzungsstark, daher konzentrieren sich hier die Premieren“. Shows wie „Deutschland sucht den Superstar“, „Das Supertalent“ oder „Let’s Dance“ brauchen zudem eine Programmpause, „weil die Teams ja auch mal Urlaub machen müssen“, wie der RTL-Programmplaner sagt. Tägliche Serien wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ indes laufen ohne Unterbrechung weiter: „Es ist für uns ganz wichtig, dass der Zuschauer nicht Ende Mai das Gefühl bekommt, der Sender verabschiede sich jetzt in die Sommerpause.“