Es sind Ferien, aber die Zwillinge Chelsea und Jordan müssen in Gotha bleiben. Dafür ist ihre alleinerziehende Mutter weg, sie hat endlich Arbeit gefunden – in der Südsee. So fangen gute Geschichten an. Die von Sonja Ruf nimmt sehr spannende Wendungen.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Stuttgart - Das fängt ja gut an. Es sind Ferien, aber statt gepackter Koffer und einer abreisebereiten Mutter finden Chelsea und Jordan einen Zettel auf dem Küchentisch vor. „Wir fliegen nicht zur Oma“, steht da, und: „Ich hab wieder Arbeit! In der Südsee! Ihr müsst eine Woche ohne mich zurechtkommen, aber dafür bring ich mächtig Geld mit.“ Immerhin endet der Brief, mit dem die Autorin Sonja Ruf ihren ersten Roman für Kinder eröffnet, nach einigen weiteren ernüchternden Botschaften für die zehnjährigen Zwillinge mit ein paar Küssen von „Mami“.

 

Kinder, die sich selbst überlassen sind? Was enorm hartherzig klingt, kann in der Kinderliteratur der Beginn tollster Geschichten sein. Pippi Langstrumpf fällt einem bei der Lektüre von Sonja Rufs „Mallows oder Katzengrütze“ als erstes ein, vielleicht liegt’s ja am Stichworte Südsee. Doch während Kapitän Langstrumpf seiner Tochter eine prall gefüllte Schatzkiste hinterlassen hatte, bevor er mit der Hoppetosse lossegelte, finden Chelsea und Jordan lediglich 15,87 Euro in dem Glas mit dem Etikett „Essensgeld“ und leere Küchenschränke vor. Mit was also sollen sie die knurrenden Mägen stopfen, mit Marshmallows oder mit Erdnussbutter, die bei den Kindern schlicht Katzengrütze heißt?

Subtiler Alltagsrassismus

Mit einer Tour in den nächsten Supermarkt nimmt das Abenteuer Fahrt auf, das später mit einer Suche nach einem Schatz und einer vereitelten Entführung richtig spannend wird. Doch erst einmal bekommen es Chelsea und Jordan mit einem Ladendetektiv zu tun, der ihnen rät: „Wenn ich eine schwarze Haut hätte wie ihr, würde ich immer einen Einkaufswagen nehmen, klar?“ Sonja Ruf gibt mit solch beiläufigen Bemerkungen ihrer Geschichte einen aktuellen Kontext, der die pure Spannung der Handlung zusätzlich auflädt. Um die prekäre Situation Alleinerziehender geht es, um subtilen Alltagsrassismus, um Ungerechtigkeit ganz allgemein. Neger sagt hier zwar keiner, doch der Tipp des Ladendetektivs spricht Bände. „Wer schwarz ist“, sagt der, „muss doppelt und dreifach unverdächtig sein.“

Dass Sonja Rufs Geschichte in Gotha, also in Thüringen spielt, hat nichts mit Zuspitzung zu tun, sondern ist dem Umstand geschuldet, dass ein Stipendium als Stadtschreiberin die Autorin dorthin verschlug. Mit Chelsea und Jordan lässt sie nun ihre Leser die Stadt entdecken – vor allem das jahrhundertealte System der Kasematten unter ihr. Hierhin verschlägt es die jungen Helden, als ihnen beim Blick von einem Aussichtsturm ein Schild auffällt: „Südsee – Sonnenbank. Beauty. Wellness.“ Und weil aus der Tiefe des verrammelten Südsee-Gebäudes der Handyton ihrer Mutter erklingt, versuchen sie durch geheime Gänge in den Keller des Hauses zu gelangen.

Große Auftritte für Vorleser

Eine Mutter, die sich als Bergbauingenieurin mit Sprengberechtigung auf ein dubioses Geschäfte einlässt, eine Seniorin, die nach vielen Jahren wegen einer erlittenen Ungerechtigkeit Rache üben will, eine Entführung, der beinahe eine auf Staatsbesuch in Gotha weilende Monarchin zum Opfer fällt: Spannend erzählt Sonja Ruf, wie ein paar Kinder einen von kleinkriminellen Erwachsenen eingefädelten Plot ins Gute wenden. Ihre Dialoge sind von einer tänzerischen Leichtigkeit, die jedem Vorleser große Auftritte sichern. Dazu gibt es starke Helden, eine klare Sprache, skurrile Einfälle und ein paar sehr schräge Nebenfiguren; das alles macht diese Abenteuergeschichte besonders. So besonders, dass man ihr einen griffigeren Titel gewünscht hätte.

Sonja Ruf: Mallows oder Katzengrütze. Fabulus-Verlag. 168 Seiten. 16 Euro. Ab 8