Die Diakonie- und Sozialstationen im Kreis kommen an ihre Grenzen. Wenn es bald nicht mehr Geld von den Kassen gibt, wissen viele nicht, wie sie das Jahr 2014 finanziell überstehen sollen. Landesweit ist die Situation kaum anders.

Kreis Ludwigsburg - Die Sozialstation in Sachsenheim hat es besonders schwer. In der Flächenstadt mit den sechs Teilorten sind die Anfahrtswege zu den Patienten weit – diese werden aber von den Kranken- und Pflegekassen nicht vergütet. Hinzu kommt das Problem, das vielen ambulanten Pflegediensten in Kreis und Land immer mehr zu schaffen macht: Die Steigerungen der Tariflöhne werden von den Kassen nur zu einem Bruchteil refinanziert. Wenn sich daran nichts ändert, sehen viele schwarz für das kommende Jahr. Sie hoffen nun auf die Schiedsverhandlung am Donnerstag. Damit sollen die Verhandlungen zwischen Kassen und sozialen Diensten fortgeführt werden, die im Frühjahr abgebrochen worden waren.

 

In Sachsenheim ist die Sozialstation bereits seit zwei Jahren in den Miesen. 2011 betrug das Defizit rund 15 000 Euro, im vergangenen Jahr waren es etwa 82 000 Euro und die vorläufige Hochrechnung für 2013 zeigt einen weiteren Bilanzverlust auf. Der Grund dafür seien vor allem die Personalkosten, berichtete der Geschäftsführer Lothar Kämmle jüngst im Gemeinderat. Denn die Gehälter seien in den vergangenen neun Jahren wegen tariflicher Erhöhungen um 17 Prozent gestiegen, die Leistungsentgelte der Krankenkassen hingegen nur um neun Prozent. Allein im Jahr 2012 entsprächen die fehlenden acht Prozent Erhöhung rund 91 000 Euro weniger Umsatz für die Sozialstation.

Wie es 2014 weitergehen soll, wissen viele nicht

Siegfried Schmid, Geschäftsführer der Diakonie- und Sozialstation in Ludwigsburg, spricht von einer noch schwierigeren Lage in seiner Einrichtung. Denn während in Sachsenheim das Defizit von der Stadt ausgeglichen wird, erhalte die Sozialstation in Ludwigsburg weder von der Kommune noch von kirchlicher Seite Zuschüsse. Diese früheren Unterstützer hätten sich bei der Einführung der Pflegeversicherung in den 90er Jahren zurückgezogen. Man könne von Glück sagen, dass noch rund 5000 Mitglieder des Krankenpflegevereins zur Finanzierung beitrügen. Selbst mit dieser Hilfe komme die Ludwigsburger Einrichtung in diesem Jahr nur gerade so über die Runden, „aber nächstes Jahr sieht es schlecht aus“, so Schmid.

Auch der Pflegeverbund Strohgäu-Glems, zu dem die Sozialstationen in Gerlingen und Leonberg gehören, ist am Limit. „Wir sind schon in den roten Zahlen und müssen jeden Monat gucken, dass wir rumkommen“, sagt Silvia Honal von der Verwaltung der Einrichtung. „Die Krankenkassen lassen uns am ausgestreckten Arm verhungern“, moniert sie. In Vaihingen/Enz und Bietigheim-Bissingen reicht es in diesem Jahr gerade noch für eine schwarze Null, aber wie es im nächsten Jahr weitergehen soll, wenn die Kassen nicht mehr zahlen, weiß keiner.

Kritik an der Preispolitik der Kassen

„Hier wird gerade die Pflege kaputt gemacht“, sagt Renate Schwaderer. Sie ist Geschäftsführerin der Sozialstation in Kornwestheim und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der kirchlichen und kommunalen Sozial- und Diakoniestationen im Landkreis Ludwigsburg. Schwaderer schätzt, dass etwa die Hälfte der ambulanten Pflegedienste im Kreis rote Zahlen schreiben – auch ihre Einrichtung ist mit 24 000 Euro im Minus. Sie empfindet die Kassen als Blockierer, die versuchten, die Preise bis auf den letzten Cent zu drücken. „Aber irgendwann wird es die ambulanten Dienste nicht mehr geben, wenn man die Preise immer weiter runterpresst“, sagt sie.

Peter Ruf, Sprecher der Diakonie Württemberg, berichtet von rund 50 Prozent der Sozialstationen landesweit, die „eher rote als schwarze Zahlen schreiben“. Eine Zeit lang habe man die fehlende Refinanzierung der Kassen durch Zusammenschlüsse oder Einsparungen im Management ausgleichen können, „aber jetzt sind wir am Rande“, so Ruf. Bei der AOK Baden-Württemberg sieht man sich jedoch nicht im Zugzwang. Man habe bei den Verhandlungen eine schrittweise Erhöhung der Vergütung sowie eine Preiskomponente für strukturschwache Gebiete angeboten. „Wir bedauern sehr, dass dieses Angebot nicht angenommen wurde“, sagt Nina Lägel, Sprecherin der AOK Ludwigsburg-Rems-Murr.


Machen wir doch einmal ein kleines Gedankenexperiment. Sie stellen sich vor, Sie sind pflegebedürftig. Dann überlegen Sie, was Ihnen lieber ist: Sofort in ein Pflegeheim zu ziehen – oder aber so lange wie möglich zu Hause wohnen zu bleiben und von einem ambulanten Dienst in den Dingen des täglichen Lebens unterstützt zu werden, die Sie selbst nicht mehr schaffen. Die meisten von Ihnen dürften genug Vorstellungskraft haben, um sich auszumalen, wofür sie sich entscheiden würden. Und die meisten dürften sich wünschen, möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben zu können. Zumindest aber würde wohl jeder es begrüßen, die Wahl zwischen den Möglichkeiten zu haben.

Vermutlich würde auch das Gros der Verantwortlichen der Krankenkassen es vorziehen, zu Hause gepflegt zu werden. Man fragt sich, ob sie bei den Verhandlungen über die Leistungen für die Pflegedienste im Blick haben, wie konkret die Menschen – irgendwann wohl auch sie selbst – von dem Schicksal der Sozialstationen betroffen sind. Es sieht so aus, als ob gar kein Bewusstsein darüber vorhanden ist, welch enorme gesellschaftliche Aufgabe die Pflegedienste übernehmen, welche Ersparnisse sie bringen, wenn sie verhindern, dass teure Pflegeheimplätze bezahlt werden müssen – und wie wichtig eine ordentliche finanzielle Ausstattung der Stationen ist.

Böse Zungen behaupten, die Kassen würden die Pflegedienste nur so knapp halten, weil sie wüssten, dass die soziale Verantwortung bei den oftmals kirchlichen Einrichtungen sehr ausgeprägt sei – und deshalb damit zu rechnen sei, dass diese auch unter schwierigsten Bedingungen weitermachten. Sollte dies stimmen, dann ist das ein Armutszeugnis – vor allem angesichts der angeblich hervorragenden finanziellen Situation der Krankenkassen.