Hebelt die Corona-bedingte Sparbremse die Handlungsfähigkeit des Stuttgarter Gemeinderats aus? Auch in der Kommunikation fühlen sich die Fraktionen übergangen. Denn Priorisierungen beim Haushalt würden sie gern selber vornehmen.

Stuttgart - Angefangen hatte es mit dem Ärger bereits am Montag im Jugendhilfeausschuss. Dessen Mitglieder zeigten sich massiv darüber verärgert, dass Bürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) sieben Beschlussvorlagen zu wichtigen Projekten überraschend von der Tagesordnung gestrichen hatte. Hintergrund war der Sparerlass von OB Fritz Kuhn (Grüne) vom 15. Mai. Demnach begrenzt die Stadt die Ausgaben im Ergebnishaushalt bis Ende Juli auf 85 Prozent, um die durch das Coronavirus bedingte Haushaltslücke zu kompensieren. Dass nun ausgerechnet als Erstes die Förderung und der Ausbau von Jugendhilfeprojekten auf Eis gelegt wurden, erzürnte die Fraktionen – vor allem, dass sie darüber weder informiert noch dazu gefragt worden seien.

 

Der Zorn war auch im Verwaltungsausschuss am Mittwoch noch nicht verraucht. Daran änderte auch der Hinweis von Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann (CDU) nichts, dass es sich dabei um eine rein verwaltungsinterne Maßnahme im Vorgriff auf den Nachtragshaushalt handle und es nur eine Bremse und keine Sperre sei. Grünen-Fraktionschefin Gabriele Nuber-Schöllhammer sprach von einem „fatalen Eindruck: dass der Gemeinderat nicht handeln darf. Wir möchten bestimmen, wo wir sparen.“

CDU-Fraktionschef Kotz zweifelt am politischen Gespür von OB Kuhn

CDU-Fraktionschef Alexander Kotz münzte die Kritik direkt auf Kuhn: „Ist dem OB sein politisches Gespür im Homeoffice liegenblieben? Im Ältestenrat hätte man darüber doch sprechen können. Oder will der OB mit seinem Gemeinderat nicht mehr diskutieren?“ Auch Hannes Rockenbauch vom Linksbündnis vermisste präzise Informationen, sprach von „schlechtem Stil der Bürgermeister, hauptsächlich vom OB“ und forderte einen Abwägungsprozess. Die Entscheidung darüber, ob beispielsweise für 0- bis 3-jährige Kinder von Familien mit Familiencard ab 1. August 2020 die Kitagebühr um 50 Euro verringert werde oder nicht, dürfe „in dieser hochpolitischen Zeit“ doch nicht nur verwaltungsintern entschieden werden. Doch auch diese für den Gemeinderat am Donnerstag vorgesehene Beschlussvorlage ist abgesetzt.

Auch der Einwand von SPD-Fraktionschef Martin Körner, die Stadt habe doch genügend finanzielle Ressourcen und müsse nicht bei der Unterstützung von ohnehin durch Corona gebeutelten jungen Menschen sparen, überzeugte Fuhrmann nicht. Er blieb dabei: „Die Referate müssen priorisieren. Wir halten eine Verschiebung der Bremse für nicht denkbar.“ Das sei auch kein Thema für den Gemeinderat an diesem Donnerstag. Auf Bitte von Kotz werde sich jedoch der Ältestenrat damit befassen.

Auf Anfrage unserer Zeitung erklärte Fezer nach der Sitzung, sie werde alle Vorlagen noch mal in einer Mitteilungsvorlage zusammenstellen – „dann kann der Gemeinderat in der Gesamtsicht entscheiden: wo wollen wir kürzen?“ Sie habe die Vorlagen nur deshalb kurzfristig von der Tagesordnung genommen, weil sie bis zuletzt auf Mitzeichnung gewartet habe – vergeblich.

Freie Träger wollen die Notbetreuung der Schüler übernehmen

In einem Punkt konnte sich Fezer allerdings durchsetzen: Die Stadt finanziert die Jugendhilfeangebote der freien Träger, die wegen der Coronakrise zum Teil geschlossen bleiben mussten, ohne Kürzung – und verzichtet somit auf die vom Finanzbürgermeister ins Spiel gebrachten Einsparungen in Höhe von 800 000 Euro. Zum einen, so Fezer, sei Kurzarbeit in diesem Bereich gar nicht möglich, zum anderen hätten die Jugendhilfeträger bereits ganz unbürokratisch und schnell Gegenleistungen erbracht, argumentierte die Bürgermeisterin. So würden diese in den Pfingstferien und danach die Notbetreuung der Schüler in den noch geschlossenen Waldheimen und Jugendhäusern oder Jugendfarmen übernehmen, um somit die Schulen personell, aber auch räumlich zu entlasten. Bisher machen dies die Lehrer, die aber zunehmend für den Präsenzunterricht wieder gebraucht werden.