Die sozialdemokratische Vorsitzende Saskia Esken kündigt eine erneute Bewerbung an. Die Baden-Württembergerin ist – offenbar zusammen mit Olaf Scholz – der Meinung, dass eine Partei, die bald den Regierungschef stellen dürfte, unabhängige Führung braucht.

Berlin - Saskia Esken musste sich entscheiden, ob Sie anders als ihr Co-Chef Norbert Walter-Borjans SPD-Vorsitzende bleiben will oder ein Ministeramt in der Regierung von Olaf Scholz anstreben will. Im Interview erläutert sie ihre Beweggründe.

 

Frau Esken, wie haben Sie entschieden?

Ich sehe meine Aufgabe darin, die SPD zu modernisieren, ihre historisch gewachsenen Werte zu stärken und daraus mit den Mitgliedern und im Austausch mit der Gesellschaft sozialdemokratische Ideen und Positionen zu entwickeln. Ich habe mich daher entschieden, meine Bewerbung für das höchste Parteiamt zu erneuern. Norbert Walter-Borjans und ich haben in den vergangenen zwei Jahren viel erreicht. Die SPD ist geeint, erfolgreich und stark wie seit Jahren nicht mehr. Diesen Weg möchte ich gerne fortsetzen.

Als Fachministerin hätten Sie digital oder bildungspolitisch viel bewegen können, aber ein Rückzug von der Parteispitze hätte das Signal aussenden können, dass in der SPD nun wieder die Regierungslogik einzieht. Was hat Sie bei Ihrer Entscheidung geleitet?

Vor zwei Jahren schienen wir in einer Abwärtsspirale gefangen. Viele haben damals den Untergang der Sozialdemokratie beschworen. Das war eine schwierige Zeit. Uns war wichtig, dass die SPD nicht nur als Teil der großen Koalition wahrgenommen wird, sondern viel stärker als eigenständige politische Kraft. Norbert Walter-Borjans und ich haben das Regierungshandeln über die Koalitionsausschüsse auch in diesem Sinne mitgestaltet. Zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel habe ich zwei Bildungsgipfel organisiert, um während der Pandemie mehr Bundesmittel für den Digitalunterricht bereitzustellen. So konnte ich auch bei den Themen, die der SPD wie auch mir persönlich wichtig sind, Akzente setzen. Insofern ist mir die Entscheidung auch nicht sonderlich schwergefallen. Ich weiß um die Gestaltungsmöglichkeiten einer Parteivorsitzenden.

Welche Rolle hat gespielt, dass Olaf Scholz als Kanzler in spe auf das inzwischen eingespielte Team mit Generalsekretär Lars Klingbeil und Ihnen setzte?

Olaf Scholz als künftiger Bundeskanzler und ich sind uns darin einig, dass die SPD eine von der Regierung unabhängige Führung braucht. Schon vor mehr als einem Jahr, als wir ihn als unseren Kanzlerkandidaten nominierten, nahmen wir uns gemeinsam vor, dieses enge und vertrauensvolle Zusammenspiel von Partei und Regierungsbeteiligung fortzusetzen, bis zur Wahl und darüber hinaus. Diesen Plan führen wir nun fort.

Die ungewohnte Geschlossenheit der SPD gilt als einer der Gründe für den Wahlerfolg. Die Geschlossenheit einer Kanzlerpartei kann sie aber auch zum reinen Kanzlerwahlverein machen. Wie wollen Sie dem vorbeugen?

Wir haben im Wahlkampf die Stärke unserer Geschlossenheit erlebt, aber auch die Stärke unserer Vielfalt. Wir sind mit der Unterstützung und den Kandidaturen von Jung und Alt, Frauen und Männern, Menschen mit Migrationshintergrund, aus Ost und West als größte Fraktion in den Bundestag eingezogen. Allein diese unterschiedlichen Lebensläufe und Erfahrungen werden dafür sorgen, dass die SPD ein lebendiger Ort bleibt und ihre Vielfalt in das Regierungshandeln mit einfließt. Das ist umso wichtiger, wenn wir die Regierung anführen. Wir werden über komplexe Regierungsentscheidungen innerhalb der Partei diskutieren. Gerade in einer breit aufgestellten Volkspartei wie der SPD ist es eine zentrale Aufgabe der Vorsitzenden, dieses Meinungsspektrum weiterzuentwickeln, zu bündeln und in die Regierung einzubringen.

Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit mit dem nicht ganz unwahrscheinlichen Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil vor?

Bislang stehen zwei Personalien fest. Olaf Scholz wird Bundeskanzler und ich trete erneut für den Parteivorsitz an. Diese Entscheidung habe ich für mich getroffen. Es ist aber kein Geheimnis, dass meine Zusammenarbeit mit Lars Klingbeil sehr erfolgreich war und ich ihn sehr schätze. Insofern würde ich mich freuen, wenn er ebenfalls kandidieren würde.

Viele SPD-Mitglieder haben sich ein Duo mit Klingbeil und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig gewünscht. Stehen Sie dem Generationswechsel im Weg?

Es freut mich sehr, wenn in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, über welch herausragendes Personal die SPD verfügt. Manuela Schwesig ist eine großartige Ministerpräsidentin – das haben die Wähler und Wählerinnen in Mecklenburg-Vorpommern Ende September eindrucksvoll bestätigt. Ich habe mich sehr gefreut, als sie vor einigen Wochen die Idee meiner erneuten Kandidatur öffentlich unterstützt hat. Ich gehe davon aus, dass das immer noch der Fall ist.

Nun fällt eine mögliche Baden-Württembergerin für die zuletzt südwestfreie Ministerriege aus. Sehen Sie da trotzdem noch eine Chance?

Die Besetzung des Bundeskabinetts spielt momentan noch keine Rolle. Wenn die Koalitionsverhandlungen zum Abschluss geführt werden, werden wir sehen, wer am Kabinettstisch Platz nehmen wird.

Ist der Stand der Koalitionsverhandlungen so, dass in puncto Ampelkanzler Scholz nichts mehr schiefgehen kann?

Die Koalitionsverhandlungen verlaufen konstruktiv, auch wenn hier und da mal gestritten und diskutiert wird. Das ist nicht überraschend, schließlich reden da drei verschiedene Parteien mit unterschiedlichen Traditionen und Haltungen miteinander. So ist es kein Wunder, dass wir uns auch in einigen grundlegenden Fragen noch einigen müssen. Auf der anderen Seite gibt es den sehr starken Willen, gemeinsam große Dinge zu bewegen. Insofern bin ich sehr zuversichtlich, dass wir uns im Rahmen unseres Zeitplans auf einen Koalitionsvertrag verständigen werden.