Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hält Sirenen für unersetzlich. Nicht jeder Deutsche aber werde einen Platz im Bunker bekommen, so der Experte.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Herr Pistorius, Sie fordern einen Pakt für Zivil- und Katastrophenschutz. Wozu?

 

Wir haben uns seit Ende des Kalten Kriegs völlig sicher gefühlt. Es gab keine ernsthaften Gefahren. Erst in den vergangenen Jahren hat sich ein neues Bewusstsein dafür entwickelt, wie folgenreich der Klimawandel sein wird und wie schwerwiegend die Folgen von Cyberattacken auf unsere kritischen Infrastrukturen sein können. Trotzdem haben wir uns bis zum 24. Februar noch vergleichsweise sicher gefühlt. Wenn man als Konsequenz dieses Kriegs richtigerweise die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr deutlich hochfährt, dann muss man das auch mit dem Schutz der Bevölkerung tun. Das sind zwei Seiten einer Medaille, einerseits die Verteidigung nach außen und andererseits der Schutz der Bevölkerung im Inneren.

Wo sehen Sie vorrangig Handlungsbedarf?

Wir haben multiple Gefährdungen: Klimawandel, internationale Konfliktlagen, Bedrohungen im Cyberraum und damit verbunden eine höhere Anfälligkeit für Angriffe auf die heutige Industrie- und Wissenschaftsgesellschaft. Jetzt müssen wir die gesellschaftliche Resilienz stärken. Dafür braucht es erst einmal wieder ein Bewusstsein der Menschen für solche Gefahren. Wir benötigen ein gemeinsames Zentrum für den Zivil- und Katastrophenschutz, in dem die Kompetenzen von Bund und Ländern sowie der wichtigsten Behörden und Organisationen gebündelt werden. Das Hochwasser im vergangenen Sommer hat gezeigt, dass das Warnsystem so nicht funktioniert. Die letzte Bundesregierung wollte 88 Millionen Euro ausgeben, um die Sirenen aufzurüsten. Das reicht hinten und vorne nicht. Wir brauchen bundesweit mindestens das Zehnfache, damit das Sirenennetz erst einmal wieder steht und funktioniert. Dazu kommen dann auch noch spezielle, nur für solche Aufgaben verfügbare Hubschrauber, um Material und Verletzte schnell innerhalb der Bundesrepublik sofort verlegen zu können. Außerdem müssen wir Sanitätsmaterial in für Krisen ausreichender Menge vorhalten.

Die meisten Bürger denken bei Zivilschutz an Bunker und Sirenen. Wie wichtig ist das noch?

Sirenen sind unersetzlich. Jeder kann sie wahrnehmen, wenn digitale Kanäle nicht mehr funktionieren. Warn-Apps sind auch wichtig, weil sie den Alarm zum Beispiel durch Verhaltenshinweise ergänzen. Was die Bunker betrifft, müssen wir uns aber daran erinnern, dass sie auch zu Zeiten des Kalten Kriegs nur einem relativ geringen Anteil der Bevölkerung Schutz bieten konnten. Trotzdem sind sie wichtig. Darum wäre es gut, wieder ein vollständiges Kataster über geeignete Schutzräume zu erstellen. Dazu zählen auch U-Bahn-Schächte oder Tiefgaragen.

Was braucht es noch?

Zum Beispiel eine flächendeckende Notstromversorgung und unabhängige Versorgungssysteme für Trinkwasser, aber auch ausfallsichere Kommunikationssysteme wie Satellitentelefone.

Wie viel wird das alles kosten?

Ich gehe von zehn Milliarden Euro aus. Das hört sich sehr viel an, wird aber über mehrere Jahre verteilt.

Wie lange dauert der Ausbau?

Das ist nicht von heute auf morgen zu haben. Es wird je nach Maßnahme zwei bis zehn Jahre dauern.

Ist die zuständige Behörde richtig aufgestellt?

Wir sind dabei, ein gemeinsames Kompetenzzentrum zu schaffen, in dem alle wichtigen Institutionen, Länder und Kommunen sowie Hilfs- und Rettungsorganisationen an einem Tisch sitzen. Wir brauchen diese Zentralstelle, um länderübergreifende Herausforderungen zu koordinieren. Dazu müssen wir auch nicht das Grundgesetz ändern, wie Skeptiker behaupten.