Im Fall von der Leyen, die an die Spitze der EU-Kommission wechseln soll, brachte Angela Merkel die SPD abermals in eine aussichtslose Lage. Die Partei setzt nun auf Haltung.

Berlin - Trotz der erheblichen Verärgerung über die Nominierung von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) als neuer EU-Kommissionspräsidentin will die SPD an der Personalie nicht die große Koalition zerbrechen lassen. Das stellte die kommissarische SPD-Vorsitzende Malu Dreyer am Donnerstag im ZDF klar. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe sich bei der Abstimmung im Europäischen Rat schließlich korrekt verhalten und nicht für ihre Parteifreundin gestimmt.

 

Die Situation ist kurios: Seit mehr als einem halben Jahrhundert kann Deutschland wieder den Posten des EU-Kommissionspräsidenten besetzen. Zudem soll erstmals eine Frau das mächtigste Amt in Brüssel bekommen und die Geschicke der Europäischen Union lenken. Nach tagelangen zähen Verhandlungen musste sich die Kanzlerin aber bei der entscheidenden Abstimmung am Dienstag enthalten. Im Rest von Europa wird darüber ungläubig der Kopf geschüttelt, internationale Topjobs sind heiß begehrt. Davon zeugte der tagelange Kampf um die Verteilung der europäischen Spitzenämter.

Festhalten am Prinzip der „Spitzenkandidaten“

Das Berliner Regierungsbündnis hat das erste Kapitel ihres Koalitionsvertrags „Ein neuer Aufbruch für Europa“ betitelt. „Deutschland hat Europa unendlich viel zu verdanken“, heißt es dort. „Auch deshalb sind wir seinem Erfolg verpflichtet.“ Was gäbe es für die große Koalition also Besseres, als dass eine Deutsche und überzeugte Europäerin wie von der Leyen die Geschicke des Kontinents bestimmen soll?

Die SPD lehnte das von der Kanzlerin verhandelte Personalpaket aber ab, weil mit der Nominierung von der Leyens keiner der vor der Europawahl ausgerufenen Spitzenkandidaten neuer Kommissionschef werden soll. „Es geht um etwas sehr Grundsätzliches: nämlich das Versprechen den Wählern gegenüber, das wir abgegeben haben, auch einzuhalten“, erläuterte Dreyer. „Das ist das Problem für die SPD.“ Der konservative Manfred Weber (CSU) und der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans als Spitzenkandidaten ihrer Parteifamilien hatten sich im Wahlkampf Rededuelle im deutschen Fernsehen geliefert und angekündigt, was sie als Kommissionschef anpacken wollen. Dass es nun keiner von ihnen wird, befeuert aus Sicht der Sozialdemokraten Politikverdrossenheit.

Die in Brüssel nicht am Verhandlungstisch vertretene SPD fühlte sich zudem davon überrumpelt, dass die so lange blockierten Verhandlungen plötzlich auf eine Berufung von der Leyens zuliefen. Man habe sich nicht intensiv über diese Frage unterhalten können, bemängelte Dreyer. In einem Telefonat mit Merkel während des EU-Gipfels pochte Vizekanzler Olaf Scholz dann auf die vereinbarte Pflicht zur Enthaltung, wenn sich die Bündnispartner in solch entscheidenden Fragen nicht verständigen können.

Kühnert nährt Zweifel am Fortbestand der Großen Koalition

Merkel war es allerdings wieder einmal gelungen, die SPD in eine aussichtslose Lage zu manövrieren. Als sich der Personalpoker in Brüssel dem Ende näherte, hatten die Sozialdemokraten nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder sie verweigern der deutschen Kandidatin und ersten Frau an der Kommissionsspitze ihre Zustimmung, ohne aber die Nominierung dadurch zu verhindern. Oder sie helfen bei dem Begräbnis des Spitzenkandidatenprinzips, das die Entscheidung über die Besetzung des EU-Chefpostens aus dem Hinterzimmer holen und in die Hände der Wähler legen sollte. Die SPD blieb standhaft und entschied sich für das Prinzip. Wenn sich von der Leyen im Europaparlament zur Wahl stellt, kann sie nach der jetzigen Stimmungslage nicht auf die Stimmen der deutschen SPD-Abgeordneten zählen.

Die Partei muss hoffen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Haltung honorieren. Denn in der Vergangenheit sind aus Sicht der Genossen viel zu oft die Lorbeeren an die Kanzlerin gegangen.

Nach Einschätzung von Juso-Chef Kevin Kühnert dürfte der Ablauf der Nominierung auch eine Rolle spielen, wenn die SPD im Dezember eine Groko-Bilanz zieht und über die Fortsetzung der Koalition entscheidet. Der Fall von der Leyen trage nicht dazu bei, sagte Kühnert dem SWR, „dass es die große Koalition am Ende des Jahres noch gibt“.