Die wieder eingeführte Sperrstunde an der Eberhardstraße bedroht die wirtschaftliche Existenz der dort ansässigen Clubs. Selbst wenn die Anwohner gute Gründe zur Klage hätten, könnte die Weisung des Regierungspräsidiums eine fatale Signalwirkung entfalten, kommentiert unser Autor Sascha Maier.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Man könnte es sich jetzt einfach machen und sagen: Wer über eine Kneipe zieht, ist selber schuld und braucht sich über den Lärm nicht zu beschweren. Im aktuellen Fall an der Eberhardstraße, wo das Regierungspräsidium verfügt hat, das wilde Nachtleben mit einer Sperrstunde zu beruhigen, geht es zwar vor allem um Clubs, aber das Prinzip ist dasselbe. Anwohner fühlten sich gestört und veranlassten über den Behördenweg, dass in dem betroffenen Bereich keine Verkürzungen der Sperrzeit mehr ausgestellt werden. Heißt: Um 5 Uhr spielt der DJ im Dilayla, dem White Noise und der Bar Romantica künftig das letzte Lied.

 

Nun soll es hier überhaupt nicht um Interessenkonflikte zwischen Anwohnern und Gastro gehen, wie sie in jedem Stadtviertel vorkommen und wo der gesunde Menschenverstand empfiehlt, von Fall zu Fall zu prüfen, ob ein Anwohner allzu sensibel ist oder die Partys unzumutbar wüst und laut sind. Die ganze Ausgehmeile von der Eberhardstraße bis zum Josef-Hirn-Platz pauschal in den frühen Morgenstunden zur clubfreien Zone zu erklären und die dort tätigen Gastronomen wirtschaftlich an den Rand der Existenz zu drängen, hat eine ganz andere Qualität. Das fühlt sich schon sehr nach Sippenhaft an.

Selbst wenn manche Anwohner gute Gründe haben sollten, sich am nächtlichen Treiben vor ihrer Haustür zu stören, gibt es andere Wege, Probleme zu lösen. Mit den Clubbetreibern zu reden zum Beispiel. Schärfere Polizeikontrollen zu fordern. Und falls ein Gastronomiebetrieb zu heftig aus der Reihe tanzt, könnte man bei Uneinsichtigkeit auch behördliche Sanktionen verhängen. Aber muss man deshalb so mit dem Holzhammer hantieren?

Clubs ins Industriegebiet nach Feuerbach?

Zumal es wie ein schlechter Scherz erscheint, dass keine zwanzig Meter weiter auf der anderen Seite der Hauptstätter Straße Nacht für Nacht die Junkieszene um das Rotlichtviertel randaliert und auch gerne durch die Unterführung kommt, um vor den Clubs zu urinieren. Das Regierungspräsidium hat die Aufgabe, darauf zu achten, dass das Ordnungsamt seinen Job richtig macht – mit der Wiedereinführung des Relikts der Sperrstunde macht es sich in erster Linie zum Büttel für ein Denken, das wieder einmal nahelegt, dass die angebliche Förderung eines kulturell vielfältigen Nachtlebens doch nur ein Lippenbekenntnis ist.

Ganz zu schweigen von der fatalen Signalwirkung. Darf sich jetzt jeder Anwohner, der es gerne etwas ruhiger auf seinem Kiez hätte, dazu ermuntert fühlen, den Club ums Eck beim Regierungspräsidium anzuschwärzen? Kommt die Sperrstunde dann überall dort im Kessel zurück, wo ein paar Menschen wohnen? Clubs ins Industriegebiet nach Feuerbach?

Das kann niemand ernsthaft wollen und darum sind jetzt Regierungspräsidium, Stadt, Politik und auch die Clubbetreiber gefragt, eine andere Lösung als diesen Kahlschlag zu finden – eine mit dem richtigen Augenmaß. Das wird zwar mühsamer als per Dekret zu regieren. Aber wichtig fürs Gesicht der Stadt Stuttgart, wenn sie dem – häufig unberechtigten – Ruf, ein Provinznest zu sein, entwachsen will.