Smartwatches erorbern mit neuen Spiele-Apps den mobilen Markt. Aber kann ein Spiel auf einem kleinen Display am Handgelenk überhaupt Spaß machen?

Stuttgart - Der Fitnesshund Max ist müde. Wieder hat sein Herrchen die Nacht durchgearbeitet und kaum geschlafen. „I’m tired. Please go to bed“, fordert das virtuelle Haustier. Wobei die Bezeichnung „Uhr-Tier“ vielleicht treffender wäre. Denn das Hündchen Max spielt die Hauptrolle in einem Spiel, das speziell für Smartwatches entwickelt wurde.

 

Dem neuinterpretierten Tamagotchi liegt das Wohlergehen seiner Besitzer am Herzen. Für nur 99 Cent ist der kleine Fitnesstrainer seit 5. März 2015 im Google Play Store zu kaufen. Voraussetzung ist ein Android-Smartphone oder -Tablet, auf dem die spezielle Smartwatch-App installiert wird. Der Spielspaß funktioniert aber nicht an den größeren Handymonitoren, sondern ist speziell für die kleinen Uhrenziffernblätter entwickelt.

„Max – My Fitness Dog“ setzt den besten Freund des Menschen als persönlichen Trainer ein. Max überwacht nicht nur den Schlafrhythmus des Uhrenträgers, sondern zählt auch Schritte und misst den Puls. Sein Trainingsplan beinhaltet zudem Aufgaben, mit denen er den inneren Schweinehund des Smartwatch-Besitzers überlisten will. Mit den sogenannten „Fitness-Quests“ hält er seinen Fitnesspartner auf Trab: „I’m bored let’s go for a walk“, bettelt er dann zum Beispiel. Standardaufgaben wie tausend Schritte gehen, den Puls messen oder einen kleinen Sprint hinlegen werden an das persönliche Trainingsniveau des Smartwatch-Besitzers angepasst. Der kleine, knuffige Coach gibt seine Fitness-Anweisungen auf eine herzerweichende Art und Weise. Da nimmt sein sonst so bequemer menschlicher Partner schon mal lieber die Treppe als den Aufzug. Denn Max erhält durch die zusätzlichen, von der Uhr gezählten Schritte Bonuspunkte, die dafür sorgen, dass sich das Hündchen pudelwohl fühlt.

Den Arm als Joystick verwendet

Lässt der Freund im kleinen Bildschirm der Smartwatch aber müde die Hundeohren hängen, bleibt das nicht ohne Wirkung auf seinen Besitzer: „So ein Hinweis macht Dir klar: Ich hab wirklich gestern zu wenig geschlafen“, stellt Christopher Kassulke, der Geschäftsführer der Firma Handy Games, fest. Schon seit 15 Jahren produziert das Unternehmen Spiele für alle Platformen, unter anderem auch für die sogenannten „Wearables“, den am Körper tragbaren Computern, zu denen Smartwatches zählen. „Wir sind bei wearable Games weltweit marktführend und bereits in der dritten Spiele-Generation“, sagt Kassulke. Bei ihrem ersten Spiel „Aces of the Luftwaffe“ muss der Arm noch wie ein Joystick verbogen werden, um mit der Uhr Reaktionen am TV-Bildschirm zu erzeugen. In der nächsten Entwicklungsphase löst sich die Uhr vom Bildschirm – Spiele werden als „Stand-Alone-Lösung“ für den tragbaren Zeitmesser angeboten. Bei dem actionreichen Fußballspiel „Super Party Sports: Football“ springt und rennt ein kleiner Fußballer über den Uhrenmonitor. Nur durch leichte Handgelenkbewegungen köpft er einen Fußball nach dem anderen ins Feld, so dass selbst Miroslav Klose neidisch würde.

Doch in Sachen Kondition können die Smartwatch-Spiele gegenüber den Smartphone-Games noch nicht mithalten.Das liegt zum einen an der schwächeren Batterie, zum anderen auch an den ungleichen Spielbedingungen: Wie lange hält es ein Nutzer durch, seinen Arm zu bewegen und gleichzeitig auf sein Handgelenk zu schauen, ohne zu ermüden? „Nicht länger als zwei Minuten“, sagt Maximilian Krauß. Der 21-Jährige studiert Medieninformatik an der Hochschule der Medien in Stuttgart. In seinem Praxissemester entwarf er bei der Firma Handy Games eine Gaming-App für Smartwatches. „Die Herausforderung war, dass wir noch nicht wussten, wie sich der Nutzer beim Spielen mit der Uhr verhält“, erzählt Krauß. Zwei Monate brauchte er, um alle Hürden bei der Programmierung zu nehmen: „Für die Smartwatch gibt es noch keine Standards. Es gibt runde, viereckige und ovale Ziffernblätter – das macht die Darstellung einer App schwierig.“ Inzwischen gehört das Spiel „Guns’n‘Glory Heroes“ zum Standardangebot der Firma Handy Games. Zwischen tausend und füntausend Mal wurde die von ihm entwickelte App im Google Play Store heruntergeladen – für den noch jungen Markt der Smartwatches ist diese Zahl ein gutes Zeichen.

Smartwatch-Spiele gegen Langeweile

„Das Spiel ist ein Zeitkiller – für alle ideal, die zwei Minuten Langeweile haben“, verrät Maximilian. Das Action-Spiel führt in die Welt der Elfen und der Orks. Von allen Seiten greifen die übermächtigen Gegner an. Die beste Verteidigung ist ein Fingertipp auf das Ziffernblatt, um dem sicheren Tod zu entgehen. Tod ist in diesem Falle relativ, denn mit jedem von der Uhr gezählten Schritt kann der Spieler sich neue Leben dazuverdienen, um weiter gegen die bösen Ritter zu kämpfen.

Wer glaubt, er könne einen Spielstand wie beim Handy zwischenspeichern, wird bei der Smartwatch enttäuscht: Pausen sind für die kurzen ein- bis zweiminütigen Spiele nicht vorgesehen.

Google weiß es ja sowieso

Während bei reinen Action-Spielen keine persönlichen Daten des Uhrenträgers verwendet werden, erfassen die neueren Fitness-Spiele jeden Herzschlag. Wer zustimmt, verbindet nach der Installation sein Spiel mit Google Fit. Die Werte werden in die Cloud hochgeladen und ausgewertet. Wird die Zustimmung verweigert, riskiert der Nutzer einen Datenverlust, da seine Trainingsergebnisse dann nirgendwo gespeichert sind. Mit der Veröffentlichung seiner Daten in der Cloud geht Maximilian entspannt um: „Jeder muss wissen, was er ins Internet stellt und was nicht. Wenn ich den Google-Wecker auf meinem Handy stelle, weiß Google ja auch, wann ich aufstehe.“

Die Haltung „Google –weiß es ja sowieso“ kennt Professor Joachim Charzinski von der Hochschule der Medien genau. In jedem Semester diskutiert der Studiendekan des Studiengangs Mobile Medien mit seinen Studenten über ihre persönliche Freiheit. Dabei stellt er unterschiedliche Lebensauffassungen fest: „Die einen setzen sich in einen ‚Container’ und genießen es, wenn sie von allen beobachtet werden. Die anderen sind lieber für sich allein und wollen nicht, dass alle alles wissen.“ Charzinksi gehört zu letzterer Gruppe. Seine Warnung gilt nicht allein der Datenweiterleitung, sondern auch der möglichen Datenauswertung: „Wenn ich mit der Smartwatch die Tagesnachrichten ansehe, könnte Google in Zukunft messen, bei welcher Meldung ich mich aufrege und meine politische Haltung feststellen.“ Trotz seiner kritischen Einstellung räumt er Smartwatches und Fitness-Spielen auf dem beweglichen Bildschirm gute Chancen auf dem Markt ein. „Die Technikfreaks und Insider probieren an ihrem Handgelenk aus, was geht.“

Smartwatch-Spiele können mehr als Schritte zählen

Nach der Vorstellung der Apple Watch und der neuen Smartwatch-Modelle anderer Hersteller kommt Christopher Kassulke von der Firma Handy Games zu einer weiter reichenden Prognose: „Die Smartwatches werden zu Statussymbolen – genau wie die Rolex-Uhr“, vermutet er. Das läge an den neuen, schickeren Designs, aber auch an dem Trend zur Gamification: „Schritte zählen kann jeder. Aber mit unseren Spielen macht der Sport viel mehr Spaß.“ Im Vergleich zu einem Fitnessstudiobeitrag sei der Preis von 99 Cent für die Smartwatch-Spiele im Google Play Store unschlagbar. Statt eines erhobenen Zeigefingers gibt es dafür einen Motivator wie das Tamagotchi Max. Doch auch der programmierte Hund kann keine Wunder bewirken: „Wir werden aus einem Nichtsportler keinen Marathon-Läufer machen“, gibt Kassulke zu. „Aber mit dem kleinen Freund am Handgelenk laufen Schreibtischtäter gesundheitsbewusster durch den Tag.“