Eine kaputte Ehe und ein Sohn, den nach der Scheidung weder Vater noch Mutter wollen: Andrej Swjaginzews Spielfilm „Loveless“ auf Arte zeigt Moskau als kalten Ort. Wo bekommt man Hilfe, wenn hier ein Junge verschwindet?

Stuttgart - Warum die Wohnung denn verkauft werde, fragen die Kaufinteressenten, die alles mit jenem abschätzigen Blick taxieren, der Interesse verbergen und den Preis drücken soll. „Wir lassen uns scheiden“, erklärt die Wohnungsbesitzerin Zhenya. Die Herumgeführten murmeln Beileidiges, und Zhenya schnappt zurück, das brauche ihnen nicht leid zu tun. Sie meint das auch so. Andrej Swjaginzews sehr intensiver, sehr lebensnaher Spielfilm „Loveless“ erzählt von einer völlig zerrütteten Ehe.

 

Boris (Alexej Rosin) und Zhenya (Marjana Spiwak) gehören zur Moskauer Mittelschicht. Materielle Sorgen sind es nicht, die ihre Beziehung zermürbt haben. Swjaginzew lässt auch offen, ob das, was die Figuren einander an den Kopf werfen, wirklich ausschlaggebend war für die Entzweiung. Ihm geht es vor allem um die Intensität der Abneigung. „Geliebt habe ich Dich auch nie. Ich hatte es nur satt, bei ihr zu sein“, offenbart Zhenya ihrem Noch-Ehemann. Mit „sie“ ist ihre Mutter gemeint, was zeigt, dass die Sphäre kaputter Bindungen weit über die eheliche Wohnung hinausreicht.

Mühselige Suche

Die Mutter hat man da schon kennengelernt, als keifende, verbiesterte, vorwurfsvolle und rechthaberische Frau. Swjaginzew braucht nur wenige Momente, um einem so plastische wie rätselhafte Figuren ins Gedächtnis zu pflanzen.

Das wehrlose Opfer der Ehezerrüttung aber ist Aljoscha (Matwej Nowikow), der zwölfjährige Sohn. Wir lernen ihn als sensibles Kind kennen, aber die Mutter verachtet ihn als Schwächling und Versager. Aljoscha wird mitanhören, dass er ins Heim soll, weil ihn weder Mutter noch Vater haben möchten. Er wird verschwinden, und eine mühselige Suche geht los, in einem Moskau, in dem die Polizei anderes zu tun hat als Ausreißer zu fangen, wie ein Beamter erklärt.

Erst die Liebe, dann der Streit

In „Loveless“ haben sowohl Boris als auch Zhenya eine neue Beziehung. Da wird geschworen, diesmal sei es die wahre Liebe, da ist man noch zärtlich. Dann sehen wir wieder einen Streit der Eheleute und fragen uns, ob wir da eine spätere Entwicklungsstufe der neuen Beziehungen sehen.

Im Anschluss an den großartigen „Loveless“ läuft ein Porträt von Andrej Swjaginzews, der schon mit seinem vorigen Film „Leviathan“ über Korruption, die Politik, Behörden und sogar die Kirche durchseucht, böse aneckte und wie andere kritische Filmemacher einigen Druck aushalten muss.

Wie viele große Regisseure vor ihm ist er übrigens Autodidakt. Als er anfing, erzählt er, habe man sich in Russland als alles ausgeben können. Er habe eben behauptet, erfahrener Filmemacher zu sein.

Ausstrahlung: Arte, Mittwoch, 13. Mai 2020, 22.10 Uhr