André Bühler ist Professor für Marketing und Sportmanagement. Der VfB-Vereinsbeirat blickt mit Sorge auf das Rattenrennen in der Bundesliga, fordert eine gerechtere Verteilung der TV-Gelder sowie einen Solidarfonds – und er hofft auf einen Wertewandel.

Stuttgart - Nach der Corona-Krise, so das Versprechen der Deutschen Fußball-Liga (DFL), soll alles anders werden. Besser. Nachhaltiger. Gerechter. André Bühler, der Direktor des Deutschen Instituts für Sportmarketing, hat eine genaue Vorstellung davon, was getan werden müsste.

 

Herr Bühler, Sie bezeichnen den Fußball als in weiten Teilen krankes System – an welchen Symptomen machen Sie das fest?

Viele Vereine leben von der Hand in den Mund, haben keine Rücklagen gebildet und versuchen, den Erfolg auf Pump zu kaufen. Das widerspricht sämtlichen ökonomischen Grundsätzen. Die Corona-Krise hat diese Misswirtschaft für viele erst sichtbar gemacht.

Auch andere Branchen haben aktuell große Sorgen.

Natürlich hat jedes Unternehmen Probleme, wenn die Einnahmen ausbleiben – aber im Fußball ging der Absturz viel zu schnell, mit einer unfassbaren Dynamik.

Und zugleich wurde versprochen, nach der Pandemie alles besser zu machen. Sind das nur Worthülsen gewesen?

Die öffentliche Meinung war, der Fußball würde in der Corona-Krise eine Sonderrolle spielen. Diesem Vorwurf musste die DFL ja irgendwie begegnen. Das wäre nicht gegangen, indem sie gesagt hätte, dass zwölf der 36 Vereine die nächste TV-Rate schon ausgegeben haben, bevor diese ausbezahlt worden ist. Oder damit, dass 13 Vereine kurz vor der Insolvenz stehen. Stattdessen ging DFL-Geschäftsführer Christian Seifert in die Offensive und kündigte einen Wertewandel an.

Wie glaubwürdig war das?

Es gibt zwei Szenarien: Es war reine Show von ihm, um die Politik, die Fans und die Bevölkerung zu beschwichtigen. Oder er meint es tatsächlich ernst. Ob es so ist, werden wir nach der Pandemie relativ schnell sehen.

„Da wird schon jetzt wieder Politik betrieben“

Was müsste die DFL tun, um diesen Wandel einzuleiten?

Sie müsste die angekündigte Taskforce zur Zukunft des Profifußballs auf den Weg bringen – in sinnvoller Besetzung. Interessanterweise hat der FC Bayern ja sofort erklärt, Oliver Kahn sei der richtige Mann dafür. Aber warum sollte er das sein? Da wird schon jetzt wieder Politik betrieben und das Eigeninteresse in den Vordergrund gerückt.

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Wer müsste in dieser Taskforce sitzen?

Nicht ausschließlich die Leute, die dieses ungesunde System über Jahre hinweg geschaffen haben, die Lauten und Mächtigen. Sondern auch die Vernünftigen des Fußballbusiness.

Wie vernünftig ist es, wenn Vereine wie der VfB Stuttgart nun einen KfW-Kredit beantragen? Oder der FC Schalke 04 eine Landesbürgschaft fordert?

Jedes Unternehmen, das durch die Corona-Krise unverschuldet in eine finanzielle Schieflage gerät, sollte die Möglichkeit haben, einen KfW-Kredit oder eine Landesbürgschaft zu bekommen. Das ist meines Erachtens auch für Profifußballunternehmen völlig legitim. Wenn es sich allerdings um eine strukturelle Überschuldung handelt, dann ist das nur schwer zu rechtfertigen. Dem von Ihnen angesprochenen Verein im Westen der Republik ging es schon vor Corona nicht gut, da wurden jetzt durch die Pandemie die finanziellen Probleme eben deutlich sichtbar.

„Es werden eine Vielzahl an Verlierern produziert“

Wenn es um das System Fußball geht, fällt immer wieder das Stichwort Rattenrennen – was ist damit gemeint?

In diesem sportökonomischen Modell gibt es ein Stück Käse, das viele Ratten haben wollen. Das Problem dabei: Da am Ende nur eine Ratte das Stück Käse bekommt, werden enorm viele Ressourcen verschwendet. Im Fußball gibt es viele Rattenrennen – um die Meisterschaft, um die internationalen Plätze, um den Klassenverbleib. Nehmen wir den Titelkampf: diesen gewinnt seit acht Jahren der FC Bayern. Alle anderen haben für das, was für sie übrig bleibt, viel zu viel aufgewendet.

Ist das nicht der Kern des Sports?

Sicher. Und trotzdem besteht das Problem, dass enorme Ressourcen aufgewendet werden, um eine Vielzahl an Verlieren zu produzieren.

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Endet dieses Rattenrennen im Bankrott?

Wenn dafür über Jahre hinweg immer mehr ausgegeben als eingenommen wird, dann führt das zwangsläufig in den wirtschaftlichen Ruin. Es sei denn, diese Clubs werden immer wieder durch Eigentümer, Investoren, öffentliche Gelder oder noch mehr TV-Einnahmen gerettet. Aber es bleibt ein in weiten Teilen krankes System mit nur wenig richtig gesunden Marktteilnehmern.

Wo müsste die Therapie ansetzen?

Man kann beispielsweise dem FC Bayern nicht vorwerfen, in den letzten 20 Jahren eine viel bessere Arbeit gemacht zu haben als viele andere. Allerdings kommt dazu, dass es in der Bundesliga eine höchst ungleiche Verteilung der Gelder gibt. Dies führt zu einem wirtschaftlichen Ungleichgewicht und per se zu einem unfairen Wettbewerb, an dessen Ende immer dieselben ‚Ratten’ den Käse bekommen.

Gibt es einen Ausweg?

Bisher ist es so, dass die Vereine, die in der Tabelle oben stehen, mehr TV-Gelder erhalten. Das zementiert den Status. Doch das Gesamtprodukt Bundesliga besteht nicht nur aus dem FC Bayern und Borussia Dortmund, sondern aus 18 Clubs. Also hat jeder das Recht, gleich viel TV-Geld zu erhalten.

Ein ziemlich sozialistischer Ansatz.

Nein – ein sozialer. Und ein solidarischer darüber hinaus.

„Ich plädiere für einen Solidarfonds“

Was müsste sich noch ändern?

Die Verteilung der teils exorbitanten Einnahmen aus der Champions League. Ich plädiere für einen Solidarfonds, in den ein Teil der Gelder fließt, die deutsche Clubs in der Königsklasse verdient haben, die dann wiederum an die restlichen Bundesligisten gehen. Die Begründung ist klar: Es können sich nur deshalb vier Clubs für die Champions League qualifizieren, weil es einen Wettbewerb mit 14 anderen Bundesligisten gibt – also sollten diese auch davon profitieren. Das würde dieses unglaubliche wirtschaftliche Ungleichgewicht, das durch die Champions League entsteht, zumindest etwas austarieren.

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Und sonst?

Halte ich Financial Fairplay weiterhin für das beste Instrument, wenn es konsequent angewendet wird.

Warum?

Weil laut dieser Regel nicht mehr ausgegeben als eingenommen werden darf. Und weil externe Geldgeber Clubs nur zu einem gewissen Teil alimentieren dürfen. Ich würde noch eine verpflichtende Eigenkapitalquote und klar definierte Rücklagen hinzunehmen, um für Krisenfälle gewappnet zu sein.

Manchester City hat gegen das Financial Fairplay verstoßen, wurde aber freigesprochen. Das passt nicht zu Ihrer Theorie.

Die Uefa wurde in diesem Fall zu Unrecht kritisiert, sie hat ManCity für zwei Jahre von der Champions League ausgeschlossen. Diese Sperre hat der Internationale Sportgerichtshof aufgehoben. Das große Problem: Viele Cas-Richter kommen direkt aus dem Sportbusiness, sind nicht unabhängig. Solche Fälle müssten vor ein ordentliches, unabhängiges Zivilgericht. Denn Manchester City hat Sponsorengelder, die es gar nicht gab, als solche deklariert. Und das ist Betrug.

„Eine Gehaltsdeckelung ist in Europa schlicht nicht machbar“

Im Fußball sind obszöne Summen im Spiel. Was halten Sie von einer Gehaltsobergrenze?

Nichts. Fakt ist, dass viele durchschnittliche Fußballer weit überdurchschnittlich bezahlt werden. Deshalb hört sich der Salary Cap, den wir aus dem US-Sport kennen, wunderbar an. Aber eine solche Gehaltsdeckelung ist in Europa schlicht nicht machbar.

Warum nicht?

Weil die europäischen Gesetze dies untersagen. Und selbst wenn es eine Lex Fußball gäbe, bräuchte es auch noch einen einheitlichen Spitzensteuersatz in ganz Europa. Außerdem, da bin ich mir ganz sicher, wären einige Clubs äußerst kreativ bei der Suche nach Lösungen, um eine solche Gehaltsobergrenze zu umgehen. Das wäre nicht zu kontrollieren.

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Gibt es eigentlich Untersuchungen darüber, wie wichtig die Finanzkraft für den Erfolg ist?

Ja. Demnach ist nur rund 50 Prozent des sportlichen Erfolgs auf Geld zurückzuführen, die andere Hälfte auf nicht-monetäre Faktoren.

Zum Beispiel?

Management, Trainer, Taktik, Spielphilosophie, Kaderzusammenstellung, Scouting, Verletzungen, Schiedsrichterentscheidungen, Zufall, Glück. Wer hier die Komponenten, die beeinflussbar sind, für sich nutzt, hat auch als ärmerer Verein gute Erfolgsaussichten. Das zeigt der SC Freiburg seit Jahren. Oder auf der anderen Seite Manchester City und Paris St. Germain, die Unsummen investiert und die Champions League trotzdem noch nicht gewonnen haben. Nicht alles ist auf Geld zurückzuführen.

Und trotzdem scheinen vor allem finanzielle Werte zu zählen.

Das stimmt. Es gab in den letzten Jahren nur eine Richtung – nach oben. Es ging vielfach nur darum, den Umsatz zu steigern. Da wurden einige Funktionäre geblendet vom eigenen Erfolg, und im Erfolg macht man bekanntlich die meisten Fehler. Der Profifußball ist zu abgehoben und selbstsüchtig. Er muss wieder bodenständiger werden, den Fans zugewandter und auch ein stückweit demütiger.

Wird das passieren?

Der Profifußball muss sich an dem messen lassen, was er inmitten der Corona-Pandemie versprochen hat. Er hat die einmalige Chance, sich jetzt tatsächlich zum Besseren zu ändern.