Während Profisportler seit dieser Woche wieder trainieren dürfen, müssen Amateure die Füße still halten. Vor allem für größere Vereine wird das zu einem finanziellen Risiko. Manche von ihnen verlangen eine Exitstrategie.

Sindelfingen - Im Oktober wird die Leichtathletikabteilung des VfL Sindelfingen 100 Jahre alt. Der Verein will feiern und plant eine große Sause im vereinseigenen Glaspalast. Am Dienstag unterschrieb Abteilungsleiter Jürgen Kohler den Mietvertrag. „Wir wollten dabei auch unsere Sportler bei Olympia und den Deutschen Meisterschaften feiern“, sagt Kohler. Dieser Programmpunkt falle nun leider aus.

 

Seit dem Beginn der Coronakrise in Deutschland steht das Sportleben still. Keine Wettkämpfe, keine gemeinsamen Trainingseinheiten sind erlaubt. Zwar dürfen seit Anfang dieser Woche Profisportler wieder auf die Tartanbahn, ins Schwimmbecken oder auf den Rasenplatz. Die Landesverbände haben dazu spezielle Stützpunkte errichtet, wo Sportler in kleinen Gruppen, mit Mindestabstand, ohne Zuschauer und unter Einhaltung hygienischer Bedingungen trainieren können. Für ihre Vereine ist die Krise aber keineswegs gebannt. Ihnen stehe das Schlimmste noch bevor, sagen manche Verantwortlichen aus dem Landkreis Böblingen.

“Ein bis zwei Monate halten wir durch“

Roland Medinger, der Geschäftsführer des VfL Sindelfingen, stöhnt am Telefon auf, bevor er antwortet. „Die Situation ist kompliziert“, sagt er. Im Grunde unterscheiden sich größere Sportvereine wie der VfL nicht von anderen Wirtschaftsbetrieben, die gerade stillstehen. Die etwa 50 Angestellten beim VfL sind in Kurzarbeit. Nur die BA-Studenten dürfen erst sechs Wochen später ihre Ausbildungszeit verkürzen. Im Moment filmen sie Sportübungen und stellen sie auf Youtube. Viel zu tun gibt es für die anderen auch nicht, weil weder Fitnesskurse stattfinden, noch Trainingspläne geschrieben werden. Die Gebühren dafür hat der VfL für 2400 Mitglieder eingefroren. „Das finden wir nur fair“, sagt Medinger. Auch fehlen etwa 200 000 Euro jährliche Fördermittel der Stadt Sindelfingen, wo seit Monaten der Haushaltsstopp ausgerufen ist. Die Stadt muss wegen des Daimler-Sparprogramms und wohl auch wegen der Coronakrise deutlich kürzer treten. Unterm Strich macht der VfL so im Monat bis zu 60 000 Euro Verlust. „Ein bis zwei Monate halten wir das durch“, sagt Medinger, Aber lange sollte die Situation nicht anhalten.

Wie es um die Sportvereine im Land steht, ist gerade schwer einzuschätzen. Der Württembergische Landessportbund (WLSB) versucht das von diesem Mittwoch an zu evaluieren. Auf seiner Internetseite hat er dazu eine Maske erstellt, wo sich Vereine eintragen können, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten. In den kommenden Tagen soll daraus ein Bild entstehen. „Wir gehen davon aus, dass vor allem größere Vereine die finanziellen Auswirkungen im Zuge des Shutdowns zu spüren bekommen“, sagt ein Pressesprecher des Verbands. Während kleinere Vereine sich auf die Arbeit von Ehrenamtlichen stützten und Beiträge ein Mal im Jahr einzögen, müssten größere für Trainer und Verwaltung bezahlen und auf monatliche Gebühren oftmals verzichten. Das zeigten auch Gespräche mit ausgewählten Vereinen im Kreis.

„Sport ist Teil der Gesundheitsvorsorge“

Allen Vereinen gemeinsam sind ihre Bedenken wegen der Sponsoren. Im Zuge einer länger anhaltenden Wirtschaftskrise könnten von den Herbstmonaten an wichtige Geldgeber abspringen. „Wir haben unsere Sponsoren zur Solidarität aufgerufen“, sagt Timo Petersen, Geschäftsführer des VfL Herrenberg. Ob das reichen wird, ist nicht sicher. „Mittelfristig werden wir auf Hilfsgelder angewiesen sein.“ Sowohl er als auch der Württembergische Sportbund rechnen mit Zusagen der Landesregierung in Stuttgart. Noch Ende März verkündete die Bildungs- und Sportministerin Susanne Eisenmann (CDU): Man werde alles daran setzen, dass es kein „Vereinssterben“ im Land gebe. In den vergangenen Tagen wurden in Bayern und Nordrhein-Westfalen erste Hilfsmaßnahmen an Vereine ausgezahlt. In Baden-Württemberg wollen die Verbände zunächst klären, welche Summen und Maßnahmen dafür nötig sind.

„Wir hoffen, dass der Weg in die Normalität nicht mehr allzu lange dauert“, sagt Roland Medinger vom VfL Sindelfingen. Die baldigen Schulöffnungen und Ausnahmen für Profisportler stimmten ihn positiv. Wie eine Exitstrategie für den Amateurbereich aussehen könnte, ist im Moment unklar. Denkbar wäre eine schrittweise Annäherung: Training in kleinen Gruppen, Körperkontakt vermeiden, auf Hygiene achten. „Wir brauchen eine faire und organisierte Öffnung“, sagt Timo Petersen aus Herrenberg, denn Sport sei ein Teil der Gesundheitsvorsorge.

Jürgen Kohler stimmt dem zu. In den Mietvertrag für das Vereinsjubiläum im Herbst hatte er im letzten Moment noch eine Klausel geschrieben: „Nicht rechtskräftig im Falle einer Pandemie“.