Sieben Monate hat die Staatsanwaltschaft neue Hinweise zum Tod des Vorsitzenden des Zentralsrats der Juden, Werner Nachmann, untersucht. Nun entschied sie, keine Ermittlungen wegen Mordes einzuleiten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe wird keine Mord-Ermittlungen wegen des Todes des Zentralratsvorsitzenden der deutschen Juden, Werner Nachmann, vor dreißig Jahren einleiten. Dies hat die Behörde jetzt nach einer sieben Monate dauernden Prüfung entschieden, wie ein Sprecher unserer Zeitung auf Anfrage mitteilte. Es hätten sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Nachmann damals vergiftet worden sei. Daher werde es auch keine Exhumierung und Obduktion seines Leichnams geben, die nur im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens möglich wäre, sagte der Sprecher. Rechtsmediziner hatten gute Chancen gesehen, dass sich Gift auch nach so langer Zeit noch nachweisen ließe.

 

Auslöser der Prüfung war die Aussage einer ehemaligen Vertrauten Nachmanns gegenüber einem Privatdetektiv, der damals im Auftrag des Zentralrats einen Untreueverdacht gegen den langjährigen Vorsitzenden untersucht hatte. Es ging um 30 Millionen Mark für die Entschädigung von jüdischen Naziopfern, die bis heute spurlos verschwunden sind. Unsere Zeitung hatte die entsprechenden Protokolle von dem Detektiv erhalten und der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt, nachdem diese Interesse daran bekundet hatte. Darin berichtete die Vertraute, Nachmann habe in der Zeit vor seinem Tod und noch am Todestag wiederholt den Verdacht geäußert, er solle schleichend vergiftet werden; er habe auch eine Vermutung, auf welche Weise und von wem. Bei einem letzten Telefonat kurz vor seinem Tod habe er gesagt: „Ich glaube, die haben’s geschafft.“

Hinweis auf Vergiftung nicht erhärtet

Als offizielle Todesursache war damals „akutes Herzversagen vermutet“ worden; Hinweise auf eine nicht natürliche Ursache hatten Notarzt und Hausarzt nicht gesehen. Laut Staatsanwaltschaft ist die inzwischen verstorbene Vertraute die einzige Person, die von einer Vergiftung berichtet hat; keine der anderen Befragten habe diesen Verdacht bestätigt. Zudem erscheine es unrealistisch, dass Nachmann eine Vergiftung sehenden Auges zugelassen habe, sagte der Sprecher. Nach früheren Zeugenaussagen habe er in den Wochen vor seinem Tod krank gewirkt, aber völlig unterschiedliche Angaben zur Art der Erkrankung gemacht. Auf Zentralratskollegen hatte er zuletzt wie eine „wandelnde Leiche“ gewirkt.

Wer alles befragt wurde, wollte der Justizsprecher nicht sagen – auch nicht, ob die Angehörigen Nachmanns gehört wurden. Seine in New York lebende 74-jährige Wittwe und sein in London als Spitzenbanker tätiger Sohn (47) hatten sich während der Prüfung nie öffentlich geäußert. Sie waren im Jahr 1988 wenige Monate nach dem Tod Nachmanns und dem Bekanntwerden der Finanzaffäre beim Zentralrat der Juden in die USA übergesiedelt.

Zentralrat schweigt zu Entscheidung

Der Zentralrat hatte die neue Prüfung der Todesumstände begrüßt. Im Jahr 1988 sei „wohl einiges im Dunkeln geblieben“, hatte der Vorsitzende Josef Schuster gesagt. „Jeder Schritt, der zur Aufklärung des Falls beitragen könnte, ist zu begrüßen“, betonte Schuster. „An einer Aufklärung hat die jüdische Gemeinde in Deutschland ein großes Interesse.“ Zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft, keine Ermittlungen einzuleiten, wollte sich eine Sprecherin des Zentralrats am Mittwoch „nicht äußern“. Der damalige Stellvertreter Nachmanns, Michael Fürst, hatte gesagt, er und viele andere seien davon ausgegangen, dass sich der Vorsitzende angesichts der drohenden Aufdeckung das Leben genommen habe.