Sein Besuch steht im Schatten einer Affäre, die er nicht selbst zu verschulden hat: Am Dienstag trifft Bundespräsident Joachim Gauck seinen israelischen Amtskollegen Peres. Es ist der erste Staatsbesuch für Gauck.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Tel Aviv - Als der Bundespräsident am Abend des Pfingstmontags auf dem Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv landet, beschwert ihn eine Last, die niemand sehen kann, die aber mit Händen zu greifen ist. Sein Staatsbesuch steht im Schatten einer Affäre, die er selbst nicht zu verantworten hat. Dennoch wird von ihm erwartet, dass er sich dazu erklärt, Missverständnisse ausräumt, Verdruss bereinigt.

 

Joachim Gauck war kaum drei Wochen im Amt, als ihm ausgerechnet Günter Grass in die Quere kam. Dabei könnte man annehmen, dass ihm dessen Stimme sicher gewesen wäre, wenn die SPD den parteinahen Literaten für die Bundesversammlung nominiert hätte. Grass veröffentlichte Anfang April ein als Gedicht betiteltes Pamphlet, mit dessen Nachwirkungen Gauck nun zu tun bekommt. Das anstößige Werk des Nobelpreisträgers war eine spektakuläre Attacke gegen Israel. Grass warf dem Judenstaat vor, mit seinen Kernwaffen den „ohnehin brüchigen Weltfrieden“ zu gefährden und einen „Erstschlag“ gegen den Iran zu planen, der das iranische Volk „auslöschen“ könne. Die israelische Regierung verfügte daraufhin ein Einreiseverbot gegen Grass.

Bisher hat sich Gauck in der Grass-Debatte nicht geäußert

Offiziell hat Bundespräsident Gauck sich in der heiklen Angelegenheit bisher dazu nicht geäußert. Dafür musste er Kritik einstecken. Nun wird er Stellung nehmen müssen – wenn auch vielleicht hinter verschlossenen Türen. Im Vorfeld der Reise verlautete dazu nichts. Gauck wird auf seiner Reise von Dieter Graumann begleitet, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dieser hatte sich „schockiert“ über die Grass-Attacke geäußert. Er nannte den umstrittenen Text „ein Hasspamphlet“ voller „Verdrehungen und Verirrungen“.

Die Einladung von Gaucks israelischem Amtskollegen Schimon Peres lag schon vor, als Grass seine schrillen Töne anstimmte. Offenbar hat die Affäre das Verhältnis aber nicht nennenswert beeinträchtigt. Peres habe im Nachhinein darauf bestanden, dass die ursprünglich als Antrittsbesuch geplante Visite Gaucks protokollarisch zu einem Staatsbesuch aufgewertet wurde, heißt es aus dem Präsidialamt. Das ist nach diplomatischen Gepflogenheiten als besondere Reverenz zu werten. Der Gast aus Deutschland wird deshalb am Dienstagvormittag mit militärischen Ehren empfangen.

Die Reise findet in einer aufgeladenen Zeit statt

Gaucks erster offizieller Staatsbesuch ist zugleich seine schwierigste Reise. Sie findet in einer aufgeladenen Zeit statt. Darauf weist ja auch das problematische Grass-Gedicht hin. Der Bundespräsident wird auf diffizile Fragen Antworten finden müssen. Israel sieht sich vielen akuten Risiken ausgesetzt. Die Atomverhandlungen mit dem Iran sind vergangene Woche kaum vorangekommen. Die Gefahr einer nuklearen Aufrüstung des feindlich gesinnten Nachbarstaates ist keineswegs ausgeräumt. In Ägypten sehen sich die Muslimbrüder durch die erste Runde der Präsidentschaftswahlen bestärkt. In Syrien kann sich der Diktator Assad ungeachtet aller Proteste (noch) an der Macht halten.

„Wir Deutschen stehen an eurer Seite“ – diese Botschaft bringt Gauck mit nach Israel. Er versteht seinen Besuch als „Zeichen der Solidarität in schweren Zeiten“. Diese Solidarität gelte sowohl dem Staat Israel als auch den Palästinensern. Zum Abschluss seiner Visite wird Gauck am Donnerstag auch nach Ramallah reisen und dort sowohl den Palästinenserpräsidenten Abbas als auch Premier Fayyad treffen. Außerdem wird das deutsche Staatsoberhaupt in der Nähe von Balus eine Mädchenschule eröffnen, die mit Geld aus Berlin finanziert wird. Damit wolle er unterstreichen, dass Deutschland nachhaltig für den Aufbau einer Zivilgesellschaft in den Palästinensergebieten eintrete und das Interesse an einer Zweistaatenlösung betone, so heißt es aus Gaucks Umfeld.

Brisante Fragen, auf die Gauck Antworten finden muss

Der neue Bundespräsident bekräftigt den „hohen Stellenwert und die Einzigartigkeit der Beziehungen“ Deutschlands zu Israel. Diese Einzigartigkeit hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede vor dem israelischen Parlament vor vier Jahren nachgerade überhöht, indem sie den Ausdruck prägte: die besondere Verantwortung für Israel sei „Teil der Staatsräson“ in Deutschland. Die Bundesregierung fühle sich der „Sicherheit Israels verpflichtet“. Vor dem Hintergrund der aktuellen Bedrohungskulisse könnten sich aus diesem Diktum brisante Fragen ergeben, auf die Gauck Antworten finden muss.

Der Bundespräsident wird nicht vor der Knesset sprechen

Diesmal wird der Staatsgast aus Deutschland nicht vor der Knesset sprechen. Diese Ehre war Gaucks Vorgängern Johannes Rau und Horst Köhler vergönnt. Solche Auftritte zählten jedoch „nicht zur Besuchsroutine“ in Jerusalem, heißt es aus Schloss Bellevue. Man möge Gauck Zeit lassen, damit er auf dem diplomatischen Parkett Erfahrungen sammeln könne. Während der viertägigen Reise ist nur eine längere Ansprache geplant: Am Dienstagabend bei einem Staatsbankett.

Zunächst besucht Gauck aber die Gedenkstätte Yad Vashem. Seine Visite endet am Donnerstag in vertrauter Umgebung. Dann besichtigt der frühere Pastor das Auguste-Victoria-Hospital auf dem Ölberg. Den Grundstein für die Klinik legte Kaiser Wilhelm II. Heute wird das Hospiz vom Lutherischen Weltbund betrieben.