Deutsche mit doppelter Nationalität müssen sich bis zum 23. Lebensjahr für einen Pass entscheiden. Versäumen sie diese Entscheidung, droht der Entzug der Staatsbürgerschaft – und sie werden wieder zu Ausländern.

Stuttgart - Es kann auch schiefgehen. Erika Rudi, die Sachgebietsleiterin für Einbürgerung und Staatsangehörigkeit im Landratsamt des Kreises Esslingen, ist es ziemlich unangenehm. Aber ihre Mitarbeiter haben bereits in zwei Fällen Briefe verschicken müssen, die über einen ziemlich einschneidenden Verwaltungsakt informiert haben: Zwei junge deutsche Männer aus dem Kreis Esslingen haben ihre Staatsbürgerschaft verloren. Von einem Tag auf den anderen waren sie keine Deutschen mehr, sondern Ausländer. Erika Rudi ist darüber sehr unglücklich. „Wir haben alles versucht, um an die jungen Männer heranzukommen, und haben sie mehrmals schriftlich aufgefordert, Stellung zu nehmen“, sagt sie.

 

Erst nachdem die deutsche Staatsbürgerschaft verloren war, sei einer der beiden jungen Männer recht zerknirscht auf dem Amt erschienen. Er habe sich informieren wollen, wie er wieder Deutscher werden könne, sagt Rudi. Im Grunde ist der Mann wieder da, wo viele Ausländer stehen, die sich gerne einbürgern lassen wollen: Denn als ehemaliger Deutscher muss er sich nun um seine alte Staatsbürgerschaft bemühen. Zumindest droht dem jungen Mann keine Abschiebung. „Die Regeln für eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung sind erfüllt“, sagt Erika Rudi. „Wenn die Betroffenen sich jetzt wirklich bemühen, aus ihrer alten Staatsbürgerschaft entlassen zu werden, können sie in ein paar Monate wieder deutsche Staatsbürger werden“, sagt sie.

Rudi befürchtet, dass es im Kreis künftig noch viel mehr Fälle geben wird, bei denen die Behörde jungen Menschen die Staatsbürgerschaft absprechen muss. Denn in diesem Jahr muss sich lediglich eine relativ kleine Gruppe zwischen zwei Staatsbürgerschaften entscheiden. Die Betroffenen profitieren von einer Übergangsregelung: Die jungen Frauen und Männer wurden 1990 oder später geboren und werden in diesem Jahr 23 Jahre alt. Die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung durchgesetzte Reform des Staatsbürgerschaftsrechts sah eigentlich vor, dass alle Kinder, die nach dem 1. Januar 2000 geboren werden, die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Die Regelung wurde nachträglich auch auf die Jahrgänge von 1990 an angewandt.

1000 Menschen haben sich einbürgern lassen

Doch die damalige Unionsmehrheit im Bundesrat erzwang eine bedeutende Korrektur des ursprünglich von der Schröder-Regierung geplanten Modells: Die Deutschen mit doppelter Staatsbürgerschaft sollen sich bis zu ihrem 23. Lebensjahr für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. So sah es der Kompromiss der Parteien vor. Viele aus dem Jahrgang 1990 haben die Entscheidung in Stuttgart schon getroffen. Kurz vor ihrem 18. Geburtstag erhielten sie das erste Schreiben, das sie aufordert, sich nach der Volljährigkeit für die eine oder die andere Staatsbürgerschaft zu entscheiden. Insgesamt 1000 Personen mit ausländischen Eltern, die zwischen 1990 und 1999 geboren worden sind, haben sich in Stuttgart bereits einbürgern lassen.

Doch eine Gruppe von insgesamt 69 Personen muss 2013 in Stuttgart die Entscheidung treffen für oder gegen die deutsche Staatsbürgerschaft. Gewissermaßen auf den letzten Drücker, bevor sie 23 werden. Bei 16 von ihnen sei die Sache auf einem guten Weg, sagt Andreas Deuschle von der Einbürgerungsstelle der Landeshauptstadt. „Sie haben sich bereits aus ihrer alten Staatsbürgerschaft entlassen lassen“, sagt Deuschle. Sie werden Deutsche bleiben. Zwei Personen haben sich gleichfalls schon erklärt. Sie wollen wieder Ausländer werden und den deutschen Pass abgeben. Eine weitere Gruppe ist vergleichsweise privilegiert: EU-Bürger können ihre beiden Pässe behalten. Ebenso auch junge Männer und Frauen mit deutscher und kroatischer Staatsangehörigkeit. Kroatien wird in diesem Jahr dem Brüsseler Staatenbund beitreten. „Diese Entwicklung konnten wir natürlich nicht voraussehen“, sagt Deuschle. Deshalb gibt es für diese Gruppe eine Ausnahmeregelung.

Viele können sich nicht entscheiden

Doch dann gibt es auch noch die Gruppe von jungen Männern und Frauen in Stuttgart, denen es so gehen könnte wie den beiden jungen Männern im Kreis Esslingen: Sie haben sich noch nicht entschieden, welche Staatsbürgerschaft sie wollen. Deuschle bereitet das Sorgen. Denn Kulanzfristen gäbe es nicht. „Wer Fristen verstreichen lässt, verliert den deutschen Pass“, sagt er. Die Einbürgerungsbehörde bemühe sich daher um den Dialog mit den Betroffenen. Anders ausgedrückt: den jungen Leuten wird die Brisanz ihrer Lage bewusstgemacht. Deuschle fürchtet genau wie seine Kollegin Erika Rudi aus dem Landkreis Esslingen, dass die beratungsintensiven doppelten Staatsbürgerschaften künftig viele Ressourcen der Behörde binden werden. Denn die doppelten Staatsbürgerschaften bleiben eine Daueraufgabe.

Auf der Bundesebene setzt sich die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Oney für ein Umdenken ein. Sie schielt auf neue Machtverhältnisse im Bundesrat nach der Niedersachsenwahl und will so die doppelte Staatsbürgerschaft auf Dauer ermöglichen. Außerdem soll die bestehende Regelung so liberal wie möglich angewandt werden. Mehrstaatlichkeit werde hingenommen, wenn ein anderes Land den doppelten Staatsbürger nicht aus der Staatsangehörigkeit entlässt, heißt es laut Integrationsministerium.

Für die beiden jungen Männer im Kreis Esslingen käme eine solche Regelung in jedem Fall zu spät. Sie bleiben bis auf Weiteres Ausländer, die einmal Deutsche waren.