Eigentlich bestimmen die wissenschaftlichen Mitarbeiter eines Museums, was in die Ausstellung gehört und was nicht. Doch zu ihrem 175. Jubiläum leistet sich die Staatsgalerie eine Ausnahme: Die Kunstvermittler und das Publikum selbst führen das Wort! Ganz schön mutig.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Man kann es sich genau vorstellen: Alte Herren, sture Köpfe, eigensinnige Künstlerpersönlichkeiten, deren Kunst den Zenit überschritten hatte, die aber noch mitmischen wollten im Kunstbetrieb. Mit etwas Glück wurden solche Künstler Professoren – oder gar Museumsdirektoren. Das Museum der bildenden Künste, 1843 in Stuttgart eröffnet, wurde ganz selbstverständlich von Künstlern geleitet. Lobbyisten, die sie waren, versuchten sie bei der Auswahl der Werke nicht etwa, neutral zu sein, sondern forcierten just jene Stile und Schulen, die sie selbst für die richtigen hielten.

 

Im Museum der bildenden Künste, der heutigen Staatsgalerie, änderte sich das 1901 schlagartig. Mit Konrad Lange wurde zum ersten Mal ein Kunsthistoriker zum Direktor ernannt. „Seitdem man aufgehört hat, pensionsbedürftigen Malern die Leitung wertvoller Kunstsammlungen anzuvertrauen“, konstatierte der Kunsthistoriker Gustav Pazaurek einst zufrieden, „hat sich das Museums- und Galeriewesen ganz wesentlich gehoben“.

Die Staatsgalerie Stuttgart feiert in diesem Jahr ihren 175. Geburtstag, und wer weiß, vielleicht wird mit „#mein Museum“ auch eine neue Ära eingeläutet. Denn die Jubiläumsausstellung wurde nicht von Kuratorinnen und Kuratoren konzipiert, also nicht von den Experten der diversen kunsthistorischen Fachgebiete, sondern von der Kunstvermittlung. Also von jener Abteilung des Hauses, die noch immer von manchem als nachrangig erachtet wird, weil Kunstvermittler weniger wissenschaftlichen Kategorien folgen, sondern in erster Linie an das Publikum denken. Deshalb ist es bemerkenswert, dass die Direktorin Christiane Lange die Jubiläumsausstellung Steffen Egle und seinem Team anvertraut hat; Egle ist der Leiter der Abteilung Bildung und Vermittlung.

Auf einer Social Media Wall werden die Kommentare öffentlich

Trotzdem ist mit „#mein Museum“ in der Staatsgalerie nicht die Revolution ausgebrochen. Die Mischung aus Kunst und Kulturgeschichte marschiert in großen Schritten durch die wichtigen historischen Etappen, knapp und informativ – und an einigen Stellen auch vorsichtig innovativ und mutiger, als man es in der Staatsgalerie gewohnt ist. Hier wird eine Fotografie an die Wand projiziert, dort kann man durch ein Guckloch in eine Vitrine schauen.

Aber vor allem will man nun auch dem Publikum zuhören. Es kann Anregungen, Anekdoten oder Erinnerungen einspeisen. Die Besucher werden auch explizit um ihre Meinung gebeten, wie das Museum von morgen aussehen könnte. Auf einer „Social Media Wall“ sollen die Kommentare öffentlich gemacht werden. Zum Auftakt begrüßt einen jedoch erst einmal die „Mona Lisa“ – leider nicht das Original von Leonardo da Vinci, wie man in Württemberg glaubte, als man die Kopie erwarb. In Petersburger Hängung werden jene Werke präsentiert, die König Wilhelm I. dem neuen Museum schenkte: eine Mischung aus Körper und Geist, Irdischem und Göttlichem. So hat die „Heilige Maria Magdalena“ (um 1565) von Tizian und seiner Werkstatt den Busen zwar nur knapp verhüllt, ihren Blick aber gläubig gen Himmel gerichtet.

Die Kunstwerke aus der Nazizeit sind sehr mittelmäßig

Interessant ist, dass auch die Rolle des Museums während des Nationalsozialismus beleuchtet wird. Die Ankäufe, die in dieser Zeit vorgenommen wurden, seien „selten spektakulär“ gewesen, heißt es in der Schau. Und tatsächlich, das Landschaftsgemälde „Am Albrand“ von Walter Strich-Chapell aus dem Jahr 1942 ist sehr langweilig. Ferdinand Herwig hat 1936 einen „Arbeiter auf der Reichsautobahn bei Leonberg“ porträtiert, einen frohgemuten Mann mit hochgekrempelten Ärmeln und Pickel über der Schulter.

Die erste Ausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg fand im Hof in einer ehemaligen Wehrmachtsbaracke statt. „Kunst gegen Krieg“ lautete das Thema, das nicht jedem zu behagen schien. Die Radierung „Abgekämpfte Truppe geht zurück“ von Otto Dix wurde von einem verärgerten Besucher beschädigt. Die letzte Station von „#mein Museum“ ist schließlich der Eröffnung der Neuen Staatsgalerie 1984 gewidmet. Eine große Fotogalerie erinnert zudem an die vergangenen 35 Jahre. Schade, dass Personen und Anlässe nicht benannt werden.

Als Konrad Lange die Staatsgalerie 1901 übernahm, ordnete er die Sammlung zum ersten Mal nach Epochen und Schulen und verbannte das, was er für unbedeutend hielt, ins Depot. Auch künftig wird die Staatsgalerie sicher nicht die Deutungshoheit abgeben, welche Werke Qualität haben, welche nicht. Aber immerhin darf das Volk jetzt doch ein wenig mitbestimmen: Auf der Homepage der Staatsgalerie kann man sein Lieblingswerk mit einem Herzchen versehen. Jede Woche wird der Publikumsfavorit präsentiert werden – selbst wenn es eine Arbeit sein sollte, die die Kuratoren freiwillig niemals aus den Tiefen des Depots hervorholen würden.