Das juristische Ringen um 218 Kilometer Leitungen soll weitergehen. Sowohl die EnBW wie auch die Stadt Stuttgart versuchen, den Bundesgerichtshof einzuschalten. Ob der mitmacht, ist ungewiss.

Stuttgart - Im Streit um die Verfügung über die Fernwärmeversorgung in Stuttgart wollen es beiden Seiten wissen. Sowohl die Energie Baden-Württemberg (EnBW) wie auch die Stadt Stuttgart reichen nun Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe ein. So möchten sie doch noch ein Urteil des Oberlandesgerichtes (OLG) Stuttgart kippen, mit dem beide Parteien nicht zufrieden sind.

 

Im Rathaus hat vor wenigen Tagen eine große Mehrheit des Gemeinderats in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen, den BGH anzurufen, nachdem das OLG die Revision gegen sein Urteil ausgeschlossen hatte. Bei der EnBW war diese Entscheidung schon vorher gefallen.

Stadt könnte auf Abbau der Leitungen bestehen

Die Lage im Streit ist vertrackt. Die Stadt möchte von der EnBW das Fernwärmenetz übernehmen, die EnBW ist an der Fortsetzung des Geschäftes und an neuen Wegerechten in Stuttgart für die Leitungen interessiert, nachdem der 1994 geschlossene Konzessionsvertrag 2013 ausgelaufen und der Fortgang seither strittig gewesen ist. In zwei Instanzen entschieden Gerichte in Stuttgart, dass der alte Vertrag keinen Anspruch der Stadt auf Übereignung der Fernwärme-Infrastruktur begründe.

Zuletzt wurde die Position der Stadt aber insofern verbessert, dass das OLG am 26. März 2020 in zwei Aspekten anders urteilte als zuvor das Landgericht am 14. Februar 2019: Das Kartellrecht zwinge die Stadt nicht dazu, der EnBW ein Angebot über den Abschluss eines neuen Wegenutzungsvertrages vorzulegen. Und: Die Stadt könnte die Beseitigung der auf ihren Grundstücken errichteten Anlagen verlangen, entschied das OLG.

Verhandlungen werden nicht grundsätzlich ausgeschlossen

Allerdings kann sich kaum jemand vorstellen, dass ein Fernwärmenetz abgebaut wird, dem die Stadt in Kombination mit neuen Nahwärmenetzen eine wichtige Rolle in der Wärme- und Energiewende in Stuttgart und damit auch im Kampf gegen die Klimakatastrophe geben möchte. Insofern wird das letzte Urteil (AZ 2U82/19) auch als verschärfte Aufforderung zum Kompromiss verstanden. Tatsächlich hatte das Gericht die Parteien auch unmissverständlich aufgefordert, sich in dem Patt aufeinander zu zubewegen.

Die Verhandlungen wollen beide Seiten auch nicht für unmöglich erklären, obwohl jeder für sich sein Heil gern beim BGH suchen möchte. Unabhängig von der Nichtzulassungsbeschwerde sei man für Gespräche mit der Stadt über Möglichkeiten der Zusammenarbeit offen, erklärte die EnBW. Und Andrea Klett-Eininger vom OB-Büro hat schon vor Wochen, als sich das Gerichtsurteil andeutete, von einem wichtigen Baustein für Verhandlungen gesprochen.

OLG hat ein Patt geschaffen

Dennoch schlug die Verwaltung den Stadträten die Nichtzulassungsbeschwerde vor, wofür sich nach Information unserer Zeitung neben den Grünen und dem Linksbündnis auch die FDP und die SPD aussprachen. Auf Antrag der SPD forderte der Gemeinderat die Verwaltung aber auch auf, parallel zum Rechtsweg mit der EnBW Verhandlungen zu führen und den Gemeinderat „angemessen zu beteiligen“.

Durch das OLG-Urteil sehen die Fraktionen die Position der Stadt zwar als gestärkt an, und die EnBW müsse schlimmstenfalls einen bis zu dreistelligen Millionenaufwand für die Beseitigung der Leitungen fürchten, hieß es im Rathaus. Andererseits gilt auch als sehr wahrscheinlich, dass es selbst nach einem BGH-Urteil nicht ohne Verhandlungen gehen würde – in dem Fall wohl über den Kaufpreis für das Fernwärmenetz. Bis dahin könnten noch einmal zwei bis drei Jahre ins Land ziehen, befürchten manche Stadträte – falls der BGH überhaupt Geschmack daran findet, sich mit der Materie zu befassen. Oft würden Nichtzulassungsbeschwerden abgelehnt, weiß man im Rathaus.

Hausbesitzer schlagen Schlichter vor

Für manche im Gemeinderat ist es völlig unverständlich, warum sich EnBW und Stadt derart hartnäckig über viele Jahre über diverse Energienetze streiten und keine Einigung hinbekommen. Das hat beispielsweise SPD-Fraktionschef Martin Körner mehrfach bekundet. In der CDU-Fraktion ist man der Meinung, dass im Fall des Fernwärmenetzes eine gemeinsame Gesellschaft ähnlich wie beim Niederspannungsstromnetz die Lösung sein könnte. Die Verteilung der Gesellschaftsanteile wäre noch zu verhandeln, so die CDU. Der Haus- und Grundbesitzerverein Stuttgart hat sogar schon eine „professionelle Schlichtungslösung im Fernwärmestreit“ mit den Politikern Günther Oettinger (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD) ins Gespräch gebracht.

Die Streithähne haben noch andere Zankäpfel

Nach wie vor haben die EnBW und die Stadt Stuttgart auch noch andere Baustellen. Festgefahren haben sie sich beim Thema Wasserversorgung. Die Stadt pocht auf die Herausgabe aller Versorgungseinrichtungen und will dafür bis zu 190,3 Millionen Euro zahlen, die EnBW erwartet 480, das Landgericht rät zu 348 Millionen (die Stadt würde über bis zu 290 Millionen verhandeln).

Mehr Klarheit gibt es seit kurzer Zeit in der Frage der Hochspannungsstrom- und Hochdruckgasnetze. Die Netze BW, ein Tochterunternehmen der EnBW, muss weitere Netze im Stadtgebiet an die Stuttgart Netze GmbH abgeben, wie der BGH im November entschieden hat. Stuttgart Netze gehört mehrheitlich (74,9 Prozent) den Stadtwerken Stuttgart, den Rest der Anteile besitzt die Netze BW. Die gemeinsame Firma hatte die Klage auf die Übernahme von 217 Kilometer Hochspannungskabeln und 270 Kilometer Gas-Hochdruckleitungen Ende 2015 beim Landgericht eingereicht.

In so gut wie allen Fragen geht es darum, dass die Stadt mit ihren 2011 gegründeten Stadtwerken mehr im Sinne der Energie- und Wärmewende gestalten will – und dass aus der Bevölkerung Druck kommt, die Daseinsvorsorge wieder kommunal zu gestalten. Dafür macht sich seit vielen Jahren das Stuttgarter Wasserforum stark.