Ivo Josipovic unterstützt die Arbeitsgruppe Barrierefrei in Stuttgart-Vaihingen. Seine Benennung als Mitglied des Bezirksbeirats jedoch wird seit Jahren aufgeschoben. Das ist kein Zeichen von Wertschätzung, finden die Gruppenmitglieder.

Manteldesk: Sandra Hintermayr (shi)

Vaihingen - Barrieren gibt es an vielen Stellen. Hohe Randsteine, Treppen, fehlende behindertengerechte Toiletten. Diese Hindernisse möchte die aus dem Bezirksbeirat gegründete Arbeitsgruppe Barrierefrei abbauen. Es gibt aber auch Barrieren, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind, weil sie nur auf Papier stehen – oder eben nicht. Denn die Hauptsatzung der Landeshauptstadt Stuttgart sieht keinen sachkundigen Ansprechpartner für Menschen mit Behinderung in den Bezirksbeiräten vor. Ivo Josipovic, der die Arbeitsgruppe von Beginn an unterstützt, darf zwar in den Sitzungen am Tisch Platz nehmen, ist aber kein ordentliches Mitglied des Gremiums.

 

Umgang zeugt nicht von Wertschätzung

Letztlich geht es ihm um Anerkennung, um die Wertschätzung seiner Arbeit. „Ich unterstütze die Gruppe sehr gerne, aber ich bin nur Gast im Bezirksbeirat“, sagte Josipovic in der Sitzung am Dienstag. Seit drei Jahren setzt sich die Barrierefrei-Gruppe dafür ein, dass Josipovic als ordentliches Mitglied des Gremiums anerkannt wird. Das geht allerdings nur mit einer Änderung der Hauptsatzung. Zunächst wurde dies von der Verwaltung abgelehnt, zuletzt hatten die Mitglieder Hoffnung, nachdem Bürgermeister Fabian Mayer seinen Wohlwollen signalisierte. Mit einer Satzungsänderung könnte es in jedem Stuttgarter Stadtbezirk einen sachkundigen Anwohner für Menschen mit Behinderung geben. „Ich wäre gerne Vorreiter. Aber die Stadt tut nichts“, sagte Josipovic.

Gabriele Leitz, ebenfalls Mitglied der Arbeitsgruppe, kritisierte, dass die Stadt sie immer wieder vertröste. „Dieser Umgang zeugt nicht von Wertschätzung bürgerschaftlichen Engagements“, sagte sie. Leitz und Josipovic haben sich in einem offenen Brief an Oberbürgermeister Fritz Kuhn, Verwaltungsbürgermeister Fabian Mayer sowie die Fraktionsvorsitzenden im Gemeinderat gewandt. „Bei vielen Stadtbegehungen und intensiver Recherche haben wir festgestellt, dass unser Ziel, ein barrierefreier Stadtbezirk, eine große Aufgabe ist, da nicht einmal die Basics der Barrierefreiheit in Vaihingen vorhanden sind“, heißt es darin.

Die Stadt vertröstet die Arbeitsgruppe immer wieder

Die Gruppenmitglieder schätzten die Unterstützung durch Josipovic, der als Rollstuhlfahrer eine ganz andere Sicht auf die Thematik Barrierefreiheit mitbringe. Die erbetene offizielle Anerkennung lasse aber auf sich warten. „Wir engagieren uns nun in Vaihingen erfolgreich für die Barrierefreiheit, ohne dass jemand der Zuständigen mit uns das Gespräch sucht, um uns über den aktuellen Stand unserer Forderung, Schwierigkeiten oder Chancen zu berichten. Stattdessen werden wir über Dritte seit nunmehr fast vier Jahren vertröstet, mit vagen Argumenten: erst nächstes Jahr, verschoben auf den nächsten Doppelhaushalt, nach der Wahl, im Herbst, nein, doch erst im Winter...“, heißt es in dem Brief.

Es dränge sich die Frage auf, wie wichtig der Stadt die 2015 beschlossene Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention tatsächlich sei, wenn der Gruppe immer wieder Steine in den Weg gelegt werden. „Das Verhalten der Stadt lässt derzeit darauf schließen, dass die Position des Ansprechpartners für Menschen mit Behinderung nicht wichtig und nicht gewollt ist“, steht in dem Schreiben.

Josipovic droht damit, sich zurückzuziehen

Die Gruppe hat seit der Gründung schon einige Verbesserungen im Bezirk erreicht. Dazu gehören beispielsweise eine Rampe am Haupteingang des Alten Friedhofs und Stufenmarkierungen am Rathaus. Es gibt aber noch zahlreiche Missstände, die es zu beheben gilt. So gibt es im Ortszentrum nach wie vor keine öffentliche barrierefreie Toilette. „Ich würde die Gruppe gerne weiter unterstützen, aber nur, wenn mein Engagement endlich anerkannt wird“, sagte Josipovic. Er spiele mit dem Gedanken, sich zum Ende des Jahres zurückzuziehen, sollte die Satzungsänderung weiterhin nicht absehbar sein.

Das Problem sei, dass die Änderung der Hauptsatzung immer wieder vertagt werde, sagte Bezirksvorsteher Kai Mungenast. Letzter Stand sei, dass der neue Gemeinderat darüber entscheiden soll. Stadtrat Stefan Urbat (Piraten) bestätigte, dass dem Gemeinderat die Satzung noch nicht vorgelegt worden sei. Und dann müssten die Stadträte ja noch darüber beraten und eventuelle Änderungswünsche eingearbeitet werden. „Das zieht sich sicher noch Monate hin“, sagte Urbat.