Qualmende Schornsteine als Werbung? Heute undenkbar, im 19. Jahrhundert üblich. Das Waiblinger Stadtmuseum zeigt, wie Künstler die Stadt im Laufe der Jahrhunderte dargestellt haben.

Die Idylle ist perfekt. Ein Fluss schlängelt sich malerisch durch die Landschaft, vorbei an saftig-grünen Wiesen und stattlichen Bäumen. Im Hintergrund erhebt sich ein bewaldeter Höhenzug, zu dessen Füßen eine Stadt wie aus dem Bilderbuch liegt: solide Mauer rundum, dahinter viele Fachwerkhäuser. Dank der drei Türme, die aus dem Dächermeer ragen, erkennen Ortskundige auf den ersten Blick, dass das Ölgemälde die Stadt Waiblingen mit dem Hochwachtturm, dem Beinsteiner Turm und dem Turm der Michaelskirche zeigen soll.

 

„Und das, obwohl dieses Gemälde mit der realistischen Silhouette von Waiblingen wenig zu tun hat“, sagt Kristina Kraemer. Für die neue Sonderausstellung „Waiblingen – ein Bild von einer Stadt“ im Haus der Stadtgeschichte hat die Museumsleiterin mehr als 80 Darstellungen aus dem Depot geholt. Die Vielfalt ist groß und reicht von der Ansicht, welche der Obristlieutenant Andreas Kieser im späten 17. Jahrhundert anfertigte, über Gemälde der Künstlerin Luise Deicher bis zu Arbeiten ambitionierter Hobbykünstler, einem Nachdruck von Notgeld mit Stadtkulisse, Fotografien, Radierungen, Plakaten und Landkarten.

Die Wahrheit war nicht immer ausschlaggebend für die Maler

Das eingangs erwähnte Ölgemälde stammt vermutlich aus den frühen 1960er Jahren. Kristina Kraemer hat es in die Abteilung „Perspektiven“ eingeordnet. Sämtliche Exemplare unter diesem Schlagwort fallen unter die Rubrik, welche die Fachfrau so charakterisiert: „Stadtansichten, die es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nehmen.“ Die grüne Anhöhe direkt hinter Waiblingen gibt es beispielsweise nicht, auch die Rems nimmt eine etwas andere Route als auf dem Bild. Doch die drei Türme reichen aus, um die Stadt identifizieren zu können.

Bei sämtlichen Malenden spiele die eigene Intention eine Rolle bei der Darstellung, erklärt Kristina Kraemer: „Jeder sieht durch eine subjektive Brille, die er nicht ablegen kann.“ Und jeder hat eigene Ziele. Ein Verwaltungsmann wie Andreas Kieser hatte bei seinen Ortsansichten nicht den Plan, ein ästhetisches Kunstwerk zu erschaffen. „Ihm ging es um eine Bestandsaufnahme.“ So zeigt Kieser, dessen Ansichten von 1681 bis 1686 entstanden sind, nicht nur die Stadt Waiblingen und die Zahl ihrer Türme und Tore, sondern auch deren Befestigung, das Umland und die Straßen rundum.

Schornsteine galten als Zeichen für Produktivität

Im 19. Jahrhundert standen die Zeichen auf Fortschritt. Dessen Symbole sind auch auf den Gemälden zu entdecken: ein Zug, der unter Volldampf aus der Stadt fährt, Industrieschornsteine, die in die Höhe ragen. So mancher Maler fügte mehr Schornsteine in die Stadtkulisse ein, als tatsächlich vorhanden waren, denn sie galten als Zeichen der Produktivität. „Die Schornsteine wurden kräftig qualmend dargestellt, man war stolz auf sie“, berichtet Kristina Kraemer.

Jede Zeit hatte ihre speziellen Darstellungsformen. So war es laut Kristina Kraemer bis ins 19. Jahrhundert üblich, Stadtansichten von einem erhöhten Standort aus zu zeigen – selbst wenn die Landschaft rundum tatsächlich platt wie ein Pfannkuchen war. Typisch war auch, dass die Malenden den Unterschied zwischen Land und Stadt hervorhoben und die Besonderheit dieser von einer Mauer umgebenen Ansiedlung zeigten. Meistens, indem sie auf ihren Gemälden rund um die Stadt nichts als Natur zeigten. Die Stadt war ein Raum, dessen Einwohner als Bürger besondere Rechte hatten, getreu dem Motto: „Stadtluft macht frei“. Das Landleben sei hingegen alles andere als ein Zuckerschlecken gewesen, sagt Kraemer: „Die Bürgerrechte konnte man sich zwar erkaufen, das war aber nicht ganz billig.“

Das wieder aufgebaute Waiblingen entstand in der Barockzeit

Das Leben hinter der Mauer, in der Stadt, illustrieren die Gemälde des Malers und Fotografen August Esenwein aus dem späten 19. Jahrhundert. Eines zeigt die Michaelskirche. Das Bauwerk dominiert das Bild, erst auf den zweiten Blick rücken Details in den Vordergrund: Ein Hund flitzt über die Brücke zur Kirche, beim Wehr an der Rems steht ein Bub, der seine Kleider ablegt und demnächst ins Wasser hüpfen will. Ein Ochsengespann zieht die Heuernte durch die schmalen Gassen. Das Viehfutter wurde in großen Scheunen in der Stadt gelagert – dort, wo bis heute die Scheuerngasse zu finden ist.

Typisch für die Zeit der Romantik war eine Begeisterung für das Mittelalter und das Stauferreich. Klar, dass die Stauferstadt Waiblingen eine Rolle spielte. Die Ausstellung zeigt etliche romantische Bilder der Stadt, dazu gehört auch eine Ansicht der Michaelskirche und des Nonnenkirchleins in der damals modischen Ruinenoptik. Dabei eigne sich Waiblingen genau genommen kein bisschen als mittelalterliche Kulisse, sagt Kristina Kraemer: „Die Stadt ist ja 1634 fast total abgebrannt und wurde danach wieder aufgebaut. Eigentlich ist alles aus der Barockzeit, auch wenn es nicht so aussieht.“

Den Schriftsteller Achim von Arnim hinderte das übrigens nicht, die Handlung seines 1817 veröffentlichten historischen Romans „Die Kronenwächter“ in die Stauferstadt Waiblingen zu verlegen. Einer der Protagonisten ist Wächter auf dem Hochwachtturm. Der Autor kannte die Stadt beim Verfassen seines Romans nicht, er stützte sich auf Chroniken und Stadtansichten. Wer weiß, wie realistisch diese waren. Als von Arnim sich einige Zeit nach dem Erscheinen seines Romans selbst ein Bild von der Stadt und ihrem Wachtturm machen wollte, war er enttäuscht und ließ den Kutscher rasch weiterfahren. Denn „es sah mir ganz anders aus, als ich es mir gedacht habe“.

Vernissage ist am 3. März

Ausstellung
 Unter dem Titel „Ein Bild von einer Stadt“ zeigt das Haus der Stadtgeschichte Waiblingen in der Weingärtner Vorstadt von diesem Samstag an mehr als 80 Öl- und Aquarellgemälde, Drucke und Radierungen mit Ansichten der Stadt Waiblingen. Je nach Betrachter und dessen Motivation erscheint die Stadt in ganz unterschiedlichem Licht. Und so mancher Künstler hat auch schlicht ein Idealbild (s)einer Stadt verewigt. Die Sonderausstellung läuft bis zum 7. Januar des kommenden Jahres und ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet, donnerstags sogar bis 20 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Eröffnung
  Die Ausstellung wird am Freitag, 3. März, von 18 Uhr an offiziell eröffnet. Die Vernissage findet in der gegenüber dem Museum liegenden Kunstschule Unteres Remstal statt.