Das Stadtpalais rollt vierzig Jahre Graffiti in Stuttgart auf. Dabei kann man einiges lernen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Es gibt Fragen, die sich wohl nie endgültig klären lassen: Ist Graffiti Kunst? Will sie es überhaupt sein? Der Sprayer, der selbstverständlich nicht mit Namen genannt werden will, formuliert es sehr deutlich: „Meine Graffiti sind keine Kunst, sie sind Vandalismus. Sie wollen anecken und polarisieren“. Seit rund vierzig Jahren wird in Stuttgart gesprayt, was die Dosen hergeben – Tiere, Comicfiguren und Gesichter, Abstraktes und vor allem Buchstaben und Tags, wie sich die Kürzel der Sprayer nennen. Man kann sicher sein, dass all diese Motive bis heute anecken und nicht jeden Hausbesitzer erfreuen werden.

 

Jetzt haben es die zahllosen Spuren, welche die Stuttgarter Graffitiszene im öffentlichen Raum hinterlassen hat, ins Museum geschafft. Denn parallel zur Ausstellung „Wände/Walls“ im Kunstmuseum Stuttgart zeigt das Stadtpalais „Graffiti im Kessel“, eine Ausstellung, die zurückblickt auf vierzig Jahre Graffiti in der Stadt. In den sechziger Jahren entstand das Phänomen Graffiti in Philadelphia, das in den Achtzigern nach Europa schwappte und schließlich über München auch Stuttgart erreichte. Es gehört zum Schicksal der Graffiti, dass sie eines Tages übermalt werden oder dem Dampfstrahler zum Opfer fallen, so dass das meiste, was in diesen vierzig Jahren entstanden ist, nur noch auf Fotos existiert. Im Stadtpalais hängen nun Hunderte Erinnerungsfotos dicht an dicht auf Stellwänden, sortiert nach den Orten, die Stadtgeschichte schrieben – wie die „Hall of Fame“ auf dem Pragsattel, die offiziell zur Bemalung freigegeben wurde, oder die einstige Tunnelröhre unterm Schlossplatz. „Gaskammer“ haben die Sprayer sie damals genannt. Nun ja.

Graffiti kann ein politischer Akt sein

Die Ausstellung richtet sich nicht nur an die, die selbst mit der Dose S-Bahnen oder Unterführungen verzieren, sondern auch an jene, die von der Szene provoziert und aufgerüttelt werden sollen. Denn für die einen ist Graffiti vor allem köstlicher Nervenkitzel, für die anderen aber ein durchaus politischer Akt, mit dem man sichtbar machen will, dass der öffentliche Raum allen gehört. Wobei das Gemeingut mitunter recht eigennützig in Beschlag genommen wird: „Ich will Spuren hinterlassen in dieser Welt. Die Leute sollen meinen Namen an möglichst vielen Orten lesen“, wird ein Sprayer zitiert.

Zugegeben, die Flut an kleinen Fotografien ist weniger interessant, sondern eher als Respektbekundung den vielen namenlosen Sprayern der Stadt gegenüber zu verstehen. Die Ausstellung taugt aber durchaus als Türöffner für jene, die erst einmal das Glossar studieren müssen, um zu erfahren, dass Konturen „Outlines“ heißen, die Sprühdose „Can“ genannt wird und „busten“ richtig ärgerlich ist: Es meint, von der Polizei erwischt zu werden.

Künftig wird man etwas genauer schauen

Ein paar Gleise geben in der Ausstellung eine Ahnung davon, wie unwirtlich das Terrain ist, auf dem die Sprayer sich häufig bewegen. Auf großen Tafeln kann man studieren, wie sich Semi-Wildstyle oder Blockbusterstyle unterscheiden, um zumindest eine Ahnung zu bekommen, um welche ästhetischen Fragen es bei Graffiti geht. Bemerkenswert ist der Antistyle. Er meint, dass ein könnerhaftes Bild durch Farbnebel kurzerhand wieder kaschiert wird.

Nach dieser Einführung in Graffiti wird man mit anderen Augen durch die Stadt gehen und etwas genauer anschauen, was oft nur als Vandalismus wahrgenommen wird. In der Ausstellung kann man schon mal üben und auf einer S-Bahn-Sitzgruppe Platz nehmen und eine virtuelle Reise durch Stuttgart und die Region unternehmen, vorbei an kunterbunten Bildern, die längst das Stadtbild bestimmen und die Fahrzeit verkürzen können, bevor es heißt „Nächster Halt: Waiblingen“.

Ausstellung bis 31. Januar, geöffnet Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr, freitags bis 21 Uhr