Der Stadtspaziergang der Stiftung Geißstraße und der Stuttgarter Zeitung führte diesmal zu „Stuttgarts Stadtbäumen“. Und die Rede kam auch auf Bäume, die es nicht geben wird, weil die Mehrheit der Stadträte sie ablehnte.

Stuttgart - Wetter wie bestellt! Der Regen beim 102. Stadtspaziergang der Stiftung Geißstraße und der Stuttgarter Zeitung sei ideales Baumwetter, begrüßte Michael Kienzle, geschäftsführender Vorstand der Geißstraße, die rund 35 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Hans-im-Glück-Brunnen. Führte sie doch Gerhard Pfeifer, Geschäftsführer des BUND-Regionalverbands Stuttgart, unterstützt vom städtischen Baumteam-Mitarbeiter Fridtjof Harwardt, zu „Stuttgarts Stadtbäumen“. In Hirschstraße, Rathaus, Marktplatz, Karlsplatz und Akademiegarten ging es um deren Lage und den Klimawandel.

 

Den anzugehen, dafür brauche es Bäume in Städten, so Pfeifer. „Sie sind Habitat für Tiere, kühlen, reinigen die Stadtluft, binden langfristig CO2.“ Ein Baum kann in einem Jahr bis zu fünf Kilogramm Luftschadstoffe speichern, bis zu 130 Kilogramm Sauerstoff produzieren. Das Blattwerk einer Platane bilde ausgebreitet zwei Fußballfelder. „Sie produziert Sauerstoff für zehn Menschen pro Tag, verdunstet 400 bis 600 Liter Flüssigkeit.“ Doch die Gattung, die Stuttgarts Stadtbild seit 200 Jahren prägt, leide zunehmend unter einem Pilz, den die Massaria-Krankheit auslöse.

Robinie und Gingko sind vergleichsweise robust

Folge der langen Trockenperioden durch den Klimawandel: „Im Juli war es besonders schlimm“, so der Biologe – auf die Zwergpalme am Hans-im-Glück-Brunnen zeigend. „So sieht nicht der Stadtbaum der Zukunft aus.“ Die Exoten vertrügen keinen Winterfrost, den es laut Klimatologen auch weiterhin noch gebe. Südosteuropäische Bäume seien belastbarer, Arten wie ungarische Eiche, Zerr-Eiche, rotblühende Kastanie etwa. Oder die Silber-Linde, die ihren Namen der silbrig glänzenden Unterseite der Blätter verdankt. „Die dreht sich zur Sonne, das wirkt wie eine reflektierende Jalousie“, so Pfeifer. Zu den robusten – aber auch andere verdrängenden – Arten gehörten zudem die Robinie, wie jene hinter dem Rathaus am Pierre-Pflimlin-Platz; oder der Ginkgo, der in der Turmstraße steht, beengt eingegittert. „15 bis 18 Quadratmeter sollte ein Baumbeet haben, die Baumkrone entspricht dem Wurzelwerk“, erläuterte Harwardt. „Hier haben wir ein unterirdisches Bewässerungssystem.“ Die Platanen auf dem Marktplatz sind indes in sickerfähigen Belag gehüllt, damit Lastwagen drüber fahren können.

Fazit: Stadtbäume leiden nicht nur unter Klimawandel, sondern auch unter Baustellen oder überdimensionierten Lkws. Auf dem Karlsplatz verwies Pfeifer auf eine kleine Kastanie, die für ein stattliches Unfallopfer nachgepflanzt wurde. Von den Konflikten mit Veranstaltungen zeugte indes das Votum im Ausschuss für Klima und Umwelt. Verwaltung und das Gros der Stadträte stimmten gegen das Pflanzen von fünf neuen Bäumen auf dem – umzubauenden – Marktplatz. Der sei dann nicht so funktionstüchtig, der Bunkeruntergrund ungeeignet. Mobile Baumkübel werden diskutiert. Dabei hatten eigene Klimatologen Pflanzungen empfohlen, als Kühlung für heiße Sommertage. Der Bezirksbeirat Mitte war dafür. „Und die Marktbeschicker hatten nichts dagegen“, so Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle.

Bei Teilnehmern herrscht Unverständnis über die Stadtverantwortlichen

Manche hätten den Klimawandel wohl nicht verstanden, echauffierten sich Teilnehmer. „Die Stadt steckt 200 Millionen Euro in ein Klimaprogramm – viel im Vergleich zu anderen Städten – und die erste Nagelprobe besteht sie nicht“, sprach ihnen Pfeifer aus der Seele. Er würde auch gerne die Südfassade des Rathauses begrünt sehen, wie die Efeuwand in der nahen Bandstraße. „Efeu ist ideal für Bienen, andere Insekten und Vögel, Spatzen finden da Lebensraum.“ Nur bei vorgehängten Fassaden gebe es Probleme, ergänzte Landschaftsarchitekt Eberhard Schweizer.

Lebensraum bieten auch Baumhöhlen, dort leben etwa Juchtenkäfer. Im Akademiegarten zeigte Pfeifer Köttel und Insekt, das auf der roten Liste steht und „jede Baustelle stoppt“. Der extrem seltene „Eremit“ schützt als Schirmart weitere Arten. „Sehr wenige Experten haben das Tier gesehen“, so Pfeifer. „Es kommt nur zur Paarung raus.“