Zahlreiche Städte bezweifeln, dass die Schulen, die per USB-Stick übermittelten Prüfungsunterlagen zuverlässig ausdrucken können. Ein Testlauf in dieser Woche soll Gewissheit bringen.

Stuttgart - Susanne Heß hat „immer, wenn Abitur ist, Herzklopfen“. In diesem Schuljahr ganz besonders, denn da muss die Leiterin von Stuttgarts größtem Gymnasium, dem Neuen Gymnasium Leibniz in Feuerbach, erstmals dafür Sorge tragen, dass für alle 120 Abiturienten die Prüfungsaufgaben aus dem Schuldrucker kommen: pünktlich, vollständig, richtig geklammert. 1440 Seiten. „Wir haben zwar viele Kopierer, aber ein normaler Kopierer macht auch mal einen Fehler, läuft heiß, hat einen Papierstau“, sagt Heß. „Wir wollen, dass die Schüler entspannt ins Abi gehen.“ Dafür wird in Feuerbach das komplette Schulleitungsteam um 6 Uhr morgens antreten.

 

Wie leistungsfähig die Drucker an anderen Schulen sind oder ob Neubestellungen pünktlich ausgeliefert werden können, darüber hat man im städtischen Schulverwaltungsamt keinen Überblick, da alles über den zentralen Einkauf des Haupt -und Personalamts läuft.

Aufgaben kommen per USB-Stick

Das Kultusministerium lässt die Aufgaben in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch in diesem Jahr nicht mehr in Papierform ausliefern. Jede Schule erhält wenige Tage vor dem Prüfungsbeginn am 30. April einen verschlüsselten USB-Stick. Die Codes werden am jeweiligen Prüfungstag morgens ab 6 Uhr entschlüsselt, dann müssen die Aufgaben in der Schule ausgedruckt werden. Der Beginn der Klausuren wurde deshalb auf 9 Uhr verschoben. Die Änderung sei aus Sicherheitsgründen nötig, heißt es aus dem Ministerium. Die Aufgaben stammen aus einem Pool, auf den alle Bundesländer Zugriff haben. Wegen Einbrüchen im Stuttgarter Solitude-Gymnasium 2017 und im Ratsgymnasium im niedersächsischen Goslar im vergangenen Jahr mussten schon zweimal kurzfristig Aufgaben ausgetauscht werden.

Bei den Städten und Gemeinden, die für die Ausstattung der Schulen zuständig sind, wächst nun die Anspannung. Zum vor dem Abitur üblichen Herzklopfen komme durch die Verfahrensumstellung in diesem Jahr auch noch Hektik, befürchtet Norbert Brugger, der Bildungsdezernent des Städtetags. Er hat Verständnis dafür, dass die Sensibilität im Umgang mit den geheimen Aufgaben noch einmal erhöht wird. Aber, so sagte er unserer Zeitung: „Ich bin nicht überzeugt, dass das neue Verfahren besser ist als das alte.“ Dass der Ablauf in 1800 Fällen an vier Prüfungstagen an 450 öffentlichen und privaten Gymnasien im Land klappt, glaubt er eher nicht.

Neuer Ablauf birgt neue Tücken

In einigen Städten etwa ist der USB-Zugang an den Schuldruckern aus Sicherheitsgründen gesperrt. Er müsste für die betreffenden Tage aktiviert werden. Da könnten mögliche Tücken im Ablauf schlicht verlagert werden. Andere Städte brauchen Ausnahmeregelungen für die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten, denn meist ist als frühester Dienstbeginn 6.45 oder 7 Uhr vorgesehen. Das beträfe etwa die Schulsekretärinnen, die Hausmeister oder möglicherweise den Kundendienst und den IT-Service. Die Lehrer dagegen sind Beamte des Landes.

Roger Kehle, der Präsident des Gemeindetags, lässt ausrichten: „Das neue Verfahren darf nicht dazu führen, dass die Verantwortung auf den Schulträger übertragen wird.“ Für die Sicherheit der Abituraufgaben sei das Land verantwortlich. „Wir unterstützen das Land dabei“, sagte eine Sprecherin des Gemeindetags, in dem kleinere Städte und Kommunen zusammengeschlossen sind. Wichtig sei die enge Kooperation mit dem Ministerium.

Gemeinden weisen Verantwortung zurück

In dieser Woche plant das Kultusministerium einen Testlauf an 40 Gymnasien. Die Schulträger drängen auf Echttests. Natürlich werde man die Schuldrucker warten und überprüfen, wie schnell sie drucken. Im Bedarfsfall werde man Schulen auch einen neuen Drucker beschaffen, heißt es vom Gemeindetag. Nur die Verantwortung, die will man nicht. Der Städtetag erwartet, dass das Ministerium im Zweifel zum alten Verfahren zurückkehrt, sollten beim Testlauf Schwierigkeiten auftreten.

Danach sieht es nicht aus. Ein Sprecher von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) sagte unserer Zeitung, nach dem Testlauf der 40 Gymnasien sei für Anfang März ein weiterer Test an allen Gymnasien des Landes vorgesehen. Darin sollten die Ergebnisse des ersten Durchgangs berücksichtigt werden. Eine Rückkehr zum alten Verfahren sei „aktuell keine Option“, erklärte der Sprecher. Den elektronischen Verfahren gehöre die Zukunft.

In Hessen läuft die elektronische Übermittlung

Auf elektronische Übermittlung setzen dem Sprecher zufolge die Länder Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und das Saarland. Ins Detail wollen die Länder aus Sicherheitsgründen nicht gehen. Ein Sprecher des hessischen Kultusministeriums sagte aber auf Anfrage, die Aufgaben würden am Tag vor der Prüfung digital und verschlüsselt an die Schulen verschickt. Jedoch nicht auf USB-Stick. Die Schulen würden die Aufgaben ausdrucken. „Das funktioniert in Hessen seit Jahren.“ Nordrhein-Westfalen übermittelt die Aufgaben nach Auskunft eines Ministeriumssprechers seit zwölf Jahren über ein Online-Portal, in das sich die Schulen am Prüfungstag einloggen. „Technische Pannen gab es noch nicht“, so der Sprecher.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft lehnt das neue Verfahren ab. Der Philologenverband und Eltern verlangen, dass die Umstellung um mindestens ein Jahr verschoben wird. Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft der Elternvertreter an den Gymnasien, Arge Stuttgart, „verwahren sich gegen den erneuten Versuch, Lehrer und Schüler zu Versuchskaninchen für unausgegorene Pläne des Kultusministeriums zu machen“. Eine Verschiebung um ein Jahr sei notwendig, „um die Funktionstüchtigkeit an den Schulen sicherzustellen“.