Eigentlich gibt die Wissenschaft kein schlechtes Bild ab: In kurzer Zeit werden Fehler wie in der Stammzellstudie von Haruko Obokata aufdeckt und veröffentlicht. Man wird sich aber daran gewöhnen müssen, dass der begutachtete Fachartikel seinen Nimbus verliert.

Stuttgart - Die Studie habe eine Zielscheibe auf ihrem Rücken getragen, heißt es in einem Beitrag bei PubPeer. Das Online-Portal erlaubt es, anonym über Auffälligkeiten bei veröffentlichten Studien zu schreiben. Und als die japanische Biologin Haruko Obokata Ende Januar im Wissenschaftsmagazin „Nature“ berichtete (in dieser und dieser Studie), dass man Zellen mit etwas Zitronensäure in Stammzellen verwandeln könne, wurden schon nach wenigen Tagen auf PubPeer Zweifel laut. Stammzellforscher sind gebrannte Kinder: Ihr Ansehen hat durch den Fälschungsskandal um Hwang Woo Suk gelitten. Hwang hatte vor zehn Jahren vorgegeben, geklonte menschliche Stammzellen gewonnen zu haben, und hat sich inzwischen auf das Gebiet zurückgezogen, in dem er tatsächlich Erfolge verbuchen konnte: das Klonen von Tieren. Und als Shoukhrat Mitalipov im vergangenen Jahr das, was Hwang nur vorgab, tatsächlich geschafft haben wollte, entdeckte man zumindest einige fahrlässige Fehler in seiner Veröffentlichung.

 

Daher war klar, dass sich die Kollegen auf die Studie von Haruko Obokata einschießen würden. Dazu war die Botschaft auch zu revolutionär: Zellen mit Zitronensäure umzuprogrammieren schien zu einfach, um wahr zu sein. Das japanische Forschungsinstitut RIKEN, an dem Obokata arbeitet, hat nun in einem Zwischenbericht tatsächlich zwei Fehler festgestellt. Aber es spricht nicht von einer absichtlichen Fälschung. Unter anderem geht es um zwei identische Abbildungen im Fachartikel (siehe zweites Bild oben): Obokata habe angeblich vergessen, eine davon zu löschen, heißt es im Bericht, und die Untersuchungskommission sehe keinen Grund, an ihrer Aussage zu zweifeln. Ob die Studien zurückgezogen werden, ist derzeit noch offen, auch wenn alles darauf hindeutet.

Das alte Kontrollsystem bekommt Konkurrenz

Damit sind längst nicht alle Vorwürfe untersucht – und damit ist schon gar nicht die Frage beantwortet, ob die Zellumwandlung durch Zitronensäure funktioniert. Der Stammzellforscher Paul Knoepfler sammelt in seinem Blog Angaben zu Wiederholungsversuchen – und das bisherige Meinungsbild ist nicht gerade optimistisch. Obwohl die Untersuchungen weiterlaufen, hat sich der Chef des Forschungsinstituts RIKEN, Ryoji Noyori, laut Medienberichten schonmal für das angeknackste Vertrauen entschuldigt. Das Fachgebiet scheint den Fälschungsverdacht nicht loszuwerden. Das Interesse an dem Zwischenbericht war daher auch groß: die 120 Sitzplätze seien schon eine Stunde vor der Pressekonferenz belegt gewesen, berichtet die „Washington Post“ in ihrem Live-Ticker.

Doch was ist im Grundsatz schlimm daran, dass Fehler nachträglich aufgedeckt werden, wenn das schnell und transparent geschieht? Das Kontrollsystem der Wissenschaft scheint zu funktionieren. Das Problem ist nur: dass das bisherige Kontrollsystem sein Versprechen nicht erfüllt. Es scheint unangenehme Qualitätsmängel zuzulassen. Fachartikel durchlaufen üblicherweise den Peer Review, werden also von Fachkollegen, den Peers, begutachtet. Renommierte Journale wie „Nature“ lehnen fast alle eingereichten Manuskripte ab. Doch bei spektakulären Ergebnissen, die den Herausgebern Aufmerksamkeit versprechen, scheinen sie es mit der Kontrolle nicht angemessen genau zu nehmen – dieser Eindruck kann zumindest entstehen.

Das ist die Stunde eines neuen Kontrollsystems: der öffentlichen Debatte im Netz nach der Publikation. ResearchGate, ein soziales Netzwerk für Wissenschaftler mit Sitz in Berlin, ist auf den Zug aufgesprungen und präsentiert zum RIKEN-Zwischenbericht eine eigene Plattform für den Austausch der Peers: Open Review heißt das Portal, das gleich mit einem Kommentar zur Studie von Haruko Obokata aufmacht. Und die Plattform PubPeer war sich schon vor dem Zwischenbericht sicher: „Post-publication peer review is here to stay.“