Der Unternehmer Tilo Kiess hat die Belegschaft seiner Stuttgarter Firma für eine Typisierungsaktion mobilisiert, an der auch er sich beteiligt hat. Jahre später bekam er die Nachricht, dass sein genetischer Zwilling, ein leukämiekranker Junge, seine Hilfe braucht.

Steinenbronn Vor vier Jahren hat Tilo Kiess einem Jungen, der an Leukämie erkrankt war, Stammzellen gespendet. Heute ist Moritz neun Jahre alt und dank des Einsatzes des 46-jährigen Unternehmers aus Steinenbronn geheilt.
Herr Kiess, weshalb haben Sie sich typisieren und in die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) aufnehmen lassen? Gab es einen konkreten Anlass dafür?
Einer meiner Bekannten ist an Leukämie gestorben. Daraufhin habe ich mir Gedanken zu dem Thema gemacht und überlegt, was man tun kann. So entstand die Idee, in meiner Firma eine Typisierungsaktion zu machen. Dazu ist dann 2001 ein befreundeter Arzt vorbei gekommen. 30 Personen haben mitgemacht, bei 45 Mitarbeitern ein hoher Prozentsatz, wie ich finde. Schließlich darf man sich ja nur bis zu einem Alter von 55 Jahren typisieren lassen. Zudem haben wir ja auch Auszubildende, die mit unter 18 Jahren zu jung dafür sind.

Wann haben Sie erfahren, dass Sie als Stammzellenspender infrage kommen?
Das war 2009. Ich habe von der Deutschen Knochenspenderdatei Post bekommen. Das fängt alles sehr medizinisch an. Der Hausarzt nimmt einem dann noch einmal Blut ab, das eingeschickt wird. Danach bin ich nach Wiesbaden ins Krankenhaus eingeladen worden, wo noch ein paar Untersuchungen gemacht wurden. Eine Woche vor der Spende wird nochmals die Spendenbereitschaft abgefragt. Wenn man dann unterschreibt, gibt es kein Zurück mehr – vorher schon noch. Denn innerhalb dieser Woche wird der Empfänger auf die Spende vorbereiten, indem seine eigenen Stammzellen komplett abgetötet werden. Wäre mir in dieser Zeit etwas zugestoßen, dann wäre er quasi mit mir gestorben.

Kam die Benachrichtigung der DKMS für Sie überraschend? Was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Ja, das war überraschend. Man vergisst, dass man sich hat typisieren lassen. Man hat das nicht mehr so im Kopf – bis der Brief kommt. Das war ein heiß-kaltes Gefühl, wie immer, wenn etwas Wichtiges passiert. Und man geht mit einem mulmigen Gefühl zu den Untersuchungen, genauso als würde man zum Zahnarzt gehen. Aber das Ziel war klar. Da macht man keinen Rückzieher mehr. Meine Angst war unbegründet. Die Ärzte haben sie mir völlig genommen. Es verlief alles super.

Wie wurden Ihnen die Stammzellen denn entnommen?
Die Stammzellen werden bei mir unter Vollnarkose entnommen. Jedoch nicht aus dem Rückenmark, wie viele denken, sondern aus dem Beckenkamm. Danach hat man nicht mehr gesehen als zwei Pflästerle. Eine Woche lang hatte ich noch Schmerzen im Gesäß, etwa so, als wenn jemand einem einen Tritt verpasst hätte. Noch am selben Tag wurden meine Stammzellen nach München transportiert und dem Empfänger transplantiert. Die Familie des Jungen hat alles dokumentiert. (Kiess holt ein Fotoalbum hervor und schlägt es auf.) Das habe ich geschenkt bekommen. Hier sieht man ihn nach der Geburt. Da ist er noch ein Kleinkind, aber schon krank. Dann bekommt er die Spende, und auf den Bildern ist er wieder ein ganz normaler Junge.