Im umkämpften Fernbusmarkt und mitten in der Corona-Krise wollen zwei Stuttgarter Gründer mit Super-Luxus-Omnibussen einen in Deutschland bisher links liegen gelassenen Markt erschließen.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Mitten in der Corona-Krise den Fernbusmarkt neu erfinden? Ein Reisebereich, der nach einiger Zeit der Euphorie auch wegen der überaus harten Konkurrenz, einen Rückschlag erlebte? Die beiden Stuttgarter Gründer Muhammed Simsek (35) und Mujib Bazhwal (36) wollen nichts weniger als das Busreisen neu erfinden. Und zwar im Premiumsegment. „Wir wissen, dass sich einige Anbieter schon daran versucht haben und gescheitert sind“, sagt Simsek, der aus einer Unternehmerfamilie stammt und als Unternehmer selber viel unterwegs gewesen ist. Doch Roadjet, wie das ihr in Rahmen des Landesprogramms Start-up BW Pre-Seed gefördertes Start-up heißt, will sehr vieles anders machen. Der ehrgeizigste Teil daran: Für das im August mit der Linie Stuttgart-Berlin startende Projekt wird von dem traditionsreichen spanischen Hersteller Ayats ein ganz eigener Bus entwickelt.

 

Radikal anderer Ansatz

Die Gründer verfolgen einen radikal anderen Ansatz als alle bisherigen Busanbieter. „Auch diejenigen, die wie der inzwischen eingestellte Postbus von Premium gesprochen haben, haben nie wirklich Premium geboten“, sagt Bazhwal, der in seiner Laufbahn beim Autozulieferer Mahle Erfahrungen beim Aufbau unternehmensinterner Start-ups gesammelt hat, aber nun selbst zum Gründer werden will. Da reiche es eben nicht, ein bisschen mehr Beinfreiheit zu bieten.

Roadjet soll hingegen Ernst machen mit einem Luxusfahrerlebnis, das dennoch nicht mehr kosten soll als eine Fahrkarte zweiter Klasse bei der Bahn. Das fängt schon bei der Sitzanordnung in zwei zu eins Bestuhlung an. Bei Standardsitzen hätte das geplante Busmodell eine Kapazität von 96 Passagieren, ihr Bus wird nur 44 haben. Dennoch, so beteuern sie, sei das Konzept auch bei nicht vollständiger Auslastung rasch rentabel.

Roadjet will nämlich nicht über den Preis mit anderen Bussen konkurrieren, sondern sieht die Bahn als die eigentliche Konkurrenz. Zwischen billigen Bustickets und den Standardpreisen der Bahn will man ein bisher auf dem Markt noch nicht angebotenes, mittleres Preissegment besetzen. Auf der Webseite bietet man zum Start ab dem 3. August die einfache Fahrt für 40 Euro an.

Bus soll vollwertiges rollendes Büro sein

Auf der Premierenstrecke nach Berlin will man mit wenigen Zwischenstopps eine Fahrzeit von 8,5 Stunden erreichen – der direkte ICE von Stuttgart ist zurzeit, diesen Sommer durch Streckenarbeiten etwas verlangsamt, zwei Stunden schneller. Den Nachteil der längeren Fahrzeit will man dadurch ausgleichen, dass der Bus ein vollwertiges, rollendes Büro ist und die Fahrzeit auch voll als Arbeitszeit genutzt werden kann. Deshalb hat man in ein hochwertiges WLAN investiert – und kann davon profitieren, dass entlang der Autobahnen das Netz immer noch schneller und stabiler ist als parallel zu den Schienenverkehrs.

Angesichts des hohen Sitzkomforts sehen sich die Gründer insbesondere auf Nachtverbindungen als voll konkurrenzfähig mit der Bahn. Der neu konstruierte Bus soll beispielsweise auch komfortable Waschgelegenheiten bieten. Auch die Tatsache, dass man die Busse selber betreibt und die Fahrer bei sich direkt anstellt, soll einen gleichmäßig hohen Standard garantieren.

Der spanische Bushersteller ist dabei, weil der etwa in Lateinamerika schon Erfahrungen mit einem komfortablen Buskonzept hat, das er nun auch auf Europa übertragen will – allerdings im Angesichts einer dort härteren Konkurrenz durch die Bahn.

Man will besonders coronakonform sein

Den Start mitten in Corona-Zeiten sieht man nicht unbedingt als Nachteil. „Wir sind etwa durch unsere großen Sitzabstände, bereits vom Konzept her coronakonform“, sagt Simsek. Auch der Hygienestandard in den Waschräumen und bei der Lüftung sei höher als bei der Konkurrenz von Bus und Bahn: „Wir glauben, dass wir in unserer Konstellation sogar von der Maskenpflicht befreit werden könnten.“ Einen entsprechenden Vorstoß bei der zuständigen Genehmigungsbehörde habe man bereits gestartet. Das Corona-Konzept wird auf der Webseite gleich unter der Suchmaske für die Verbindungen offensiv beworben – etwa die Tatsache, dass in den Waschräume UV-Licht zur Desinfektion eingesetzt wird.

Bei einem Erfolg will man auch dank der Kooperation mit dem Bushersteller rasch expandieren können. Bisher hat man nur den im Rahmen des Landesprogramms Pre-Seed obligatorischen Ko-Investor. Man sei aber in Gesprächen mit weiteren Risikokapitalgebern.

Marktexperte sieht durchaus Chancen

Christoph Gipp, Geschäftsführer und Bereichsleiter Mobilität bei dem auf die Analyse des Fernbusmarktes spezialisierten Iges Institut in Berlin sieht das Konzept in jedem Fall als die erste echte Innovation auf dem 2013 gestarteten, eine Weile rasch gewachsenen und bereits vor Corona stagnierenden Fernbusmarkt in Deutschland. „Ich habe schon zum Marktstart eigentlich erwartet, dass ein Anbieter einmal ein echtes Premiumangebot ausprobiert,“ sagt er. Doch im Wesentlichen hätten sich die unterschiedlichen Wettbewerber einen Preiskampf geliefert – aus dem dann der Anbieter Flixbus mit Marktanteilen von teilweise mehr als 90 Prozent als Sieger hervorging. In anderen Ländern seien solche Premiumangebote durchaus erfolgreich, auch der tschechische Anbieter Regiojet, der etwa Linien Richtung Dresden und Berlin betreibt, sei mit einem etwas höherwertigen, allerdings mit dem Anspruch von Roadjet nicht gleichwertigen Konzept seit einige Zeit erfolgreich. „Ich gebe dem Konzept durchaus eine Chance“, sagt er. Auch eine Studie des Busherstellers Volvo spricht von einem Potenzial für Premium-Fernbusse.

Premierenstrecke Stuttgart-Berlin ist ambitioniert

Für ambitioniert hält er allerdings den Versuch, ausgerechnet aus der sehr konkurrenzträchtigen Strecke Stuttgart-Berlin zu starten: „Da gibt es mit dem Zug Flixtrain zudem ein Angebot, das bei niedrigem Preis prinzipiell schneller ist“, sagt Gipp. Auch mit den durch die Mehrwertsteuersenkung noch günstiger gewordenen Sparpreisen der Bahn könne man nicht konkurrieren. Deshalb sei entscheidend, ob die Kunden den Komfort und die gute Nutzbarkeit als rollendes Büro als genügend hohen Zusatznutzen einschätzten.

Ein Fragezeichen setzt Gipp noch beim Punkt, ob Roadjet schnell genug den nötigen Bekanntheitsgrad, erreichen könne. Er sei Branchenkenner und habe deshalb von dem Konzept erfahren – doch in Berlin sei bisher noch keinerlei Werbung sichtbar. Die Gründer verweisen auf eine geplante Offensive auf Onlinekanälen. Außerdem seien bereits auf eigene Initiative Busportale, die von Roadjet erfahren hätten, auf sie zugekommen und hätten sich als Vertriebspartner angeboten.

Der Fernbusmarkt in Deutschland

Marktentwicklung – Lange unterlag der Fernbusmarkt in Deutschland restriktiven Regeln. Damit sollte der Fernverkehr der Deutschen Bahn geschützt werden. 2013 wurde er liberalisiert, was mehrere Jahre eine Goldgräberstimmung mit zahlreichen neuen Anbietern auslöste, die sich mit Niedrigpreisen die Kunden abzujagen versuchten. Seitdem stagniert der anfangs in raschem Tempo gestiegene Marktanteil der Fernbusse, vor allem weil die deutsche Bahn mit mehr Sparpreisen im Fernverkehr dagegengehalten hat. 2019 betrug der Marktanteil der Fernbusse am Fernverkehr in Deutschland 12,2 Prozent. Der Spitzenwert von 2015 lag bei 15 Prozent.

Anbieter – Seit 2016 hat auch bei den Anbietern eine starke Konsolidierung eingesetzt. Klarer Platzhirsch ist mit einem Marktanteil von 90 Prozent oder mehr der Anbieter Flixbus, der inzwischen auf einigen Strecken auch unter der Marke Flixtrain auch Züge anbietet. Erst mit dem französischen Anbieter Blablabus, der unter der Marke Blablacar auch Mitfahrangelegenheiten anbietet, trat 2019 wieder ein ernsthafter neue Konkurrent an, der jedoch vor der Corona-Krise bisher auch nur eine kleine Nische bespielte.