Das Martyrium des damals neunjährigen Jungen wäre wohl viel früher zu beenden gewesen, wenn die beteiligten Ämter sorgfältiger gearbeitet hätten. Das ergab eine Untersuchung des Staufener Missbrauchsfalls.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Staufen - Als Konsequenz aus dem Staufener Missbrauchsfall sollen die Familiengerichte und die Jugendämter künftig enger zusammenarbeiten. Das geht aus dem Abschlussbericht einer gemeinsamen Arbeitsgruppe hervor, den Vertreter des Karlsruher Oberlandesgerichts und des Jugendamts des Kreises Breisgau-Hochschwarzwald am Donnerstag in Freiburg vorgestellt haben. Demnach stellt die Arbeitsgruppe fest, dass in dem Fall verschiedene Stellen Informationen, die sie hatten, nicht sofort weitergegeben haben. Darüber hinaus hätten sie nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, Erkenntnisse über die Situation des Jungen und die Gefahr, die ihm drohte, zu gewinnen. Außerdem habe niemand kontrolliert, ob die Mutter die Gebote einhielt, die ihr die Familiengerichte auferlegt hatten, heißt es in dem 34-seitigen Papier.

 

Worum geht es?

In dem bundesweit beachteten Fall war ein heute zehnjähriger Junge mehr als zwei Jahre lang von seiner Mutter und ihrem Lebensgefährten sexuell missbraucht und anderen pädophilen Männern über das Internet für Vergewaltigungen gegen Geld überlassen worden. Die 47-jährige Frau war Anfang August zu zwölfeinhalb Jahren, ihr 39-jähriger einschlägig vorbestrafter Lebensgefährte zu zwölf Jahren in Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Ein halbes Jahr vor der endgültigen Aufdeckung der Taten im September 2017 war dem Jugendamt bekannt geworden, dass der Mann bei der Familie eingezogen war. Der Junge wurde daraufhin in staatliche Obhut genommen. Doch die Familiengerichte schickten ihn unter Auflagen zu seiner Mutter zurück. Diese hielt man nicht für eine Täterin, man traute ihr zu, ihren Sohn zu beschützen.

Wer gehörte der Arbeitsgruppe an?

Nachdem im März immer mehr Vorwürfe gegen die Familiengerichte und das Jugendamt des Kreises Breisgau-Hochschwarzwald laut geworden waren, hatten das Oberlandesgericht (OLG) in Karlsruhe, das Amtsgericht in Freiburg und das Landratsamt beschlossen, die Arbeitsgruppe zu bilden. Unter der Leitung des OLG-Vizepräsidenten Helmut Perron untersuchten erfahrene Richter und Behördenmitarbeiter die Kommunikation zwischen den Behörden und erarbeiteten Vorschläge. Das Ziel sei es, Schlussfolgerungen für eine bessere Zusammenarbeit zu ziehen, damit sich ein solcher Fall nicht wiederhole, sagte der OLG-Präsident Alexander Riedel.

Wer trägt mehr Schuld?

Für wen in der Arbeitsgruppe mehr auf dem Spiel stand, ließ sich am Verhalten der Protagonisten ablesen. Die Landrätin des Kreises Breisgau-Hochschwarzwald, Drothea Störr-Ritter, las von einem Zettel ab, Riede sprach frei. Es gehe nicht um gegenseitige Schuldzuweisungen, sagte der OLG-Präsident. Wegen der heftigen Kritik an Behördenfehlern habe man „nicht einfach schweigend zur Tagesordnung übergehen“ wollen, sagte Riedel.

Was ist im Jugendamt falsch gelaufen?

Die Arbeitsgruppe empfehle dem Jugendamt, immer frühzeitig ihre fachlichen Einschätzungen, Unterlagen und Erkenntnisse an die Familiengerichte weiterzugeben. Außerdem solle sich das Jugendamt stärker in die Verfahren einbringen. „Wir haben unsere Rolle als Verfahrensbeteiligte nicht voll ausgefüllt“, räumte der Sozialdezernent Thorsten Culmsee ein. Man habe sich in dem Fall zu sehr auf die fachliche Beratung beschränkt und zu wenig für die eigene Position gekämpft. Dass in diesem Fall das Kind nicht angehört wurde, habe man einfach hingenommen. „Wir verfolgen hier nun ganz bewusst einen neuen Ansatz“, versicherte Culmsee. So sollen künftig nicht nur Sozialpädagogen, sondern auch eigene Juristen an den Verfahren teilnehmen. Die Stelle für einen Volljuristen sei bereits ausgeschrieben.

Wo haben die Familiengerichte versagt?

Den Richtern empfiehlt die Arbeitsgruppe, künftig sämtliche relevanten Erkenntnisquellen wirklich auszuschöpfen. Das Kind anzuhören und einen Verfahrensbeistand zu ernennen sei der gesetzliche Regelfall. Wolle man man davon abweichen, sollten die Gründe dafür dokumentiert werden. Sinnvoll sei es auch, wenn das Wohl eines Kindes gefährdet sei, den möglichen Gefährder vorzuladen und anzuhören. Würden Auflagen erlassen, solle bereits im Gerichtssaal mit dem Jugendamt besprochen werden, auf welche Weise deren Einhaltung kontrolliert werde. „Bei Geboten wie der Einschaltung einer Familienhilfe funktioniert das schon ganz gut. Bei Verboten sieht es anders aus“, sagte Helmut Perron, der Vizepräsident des Oberlandesgerichts.

Wie geht es jetzt weiter?

In Stuttgart soll sich noch eine interministerielle Arbeitsgruppe mit dem Fall befassen. Die Freiburger Kommission empfiehlt, die Richtlinien für das Konzept zum Umgang rückfallgefährdeter Sexualstraftäter (KURS) zu überarbeiten. Die beteiligten Polizeibeamten und Bewährungshelfer sollten darauf verpflichtet werden, frühzeitig das Jugendamt zu informieren, wenn ihnen bekannt wird, dass einer ihrer Klienten regelmäßig Umgang mit einem Kind habe. Dies war im vorliegenden Fall lange unterblieben.

Derweil läuft das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen den zuständigen Jugendamtsmitarbeiter weiter. „Die Akten liegen zur Stellungnahme bei seinem Rechtsanwalt“, sagte die Sprecherin Martina Wilke. Gegen verschiedene Richter, gegen die ebenfalls Anzeigen eingegangen sind, laufen Vorermittlungen. Alle seien weiterhin auf ihren Posten, sagte Riedel. Auch der Jugendamtsmitarbeiter habe seine Verantwortung für den Zehnjährigen nicht abgegeben, sagte Culmsee.