In den 1980ern machte die Mausefalle von Stuttgart viele Künstler groß. Campino hatte hier ein traumatisches Erlebnis, BAP schlief bei Hausbesetzern, und Ideal kostete neun Mark Eintritt. Radio-Urgestein Stefan Siller erinnert sich.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Bis heute streiten seine Fans, was die Abkürzung ZK bedeutet, unter der Campino mit der Vorgängerband der Toten Hosen Anfang der 1980er in der linksalternativen Szene unterwegs war. Zentralkomitee? Oder zum Kotzen? Fest jedenfalls steht, dass die Düsseldorfer Punk-Formation ZK in Stuttgart eines der ungewöhnlichsten Konzerte gegeben hat. Stefan Siller, 70, der damalige Veranstalter, erinnert sich noch ganz genau daran. In der Stay-at-Home-Challenge der Stuttgarter Clubs während der Corona-Krise darf die Mausefalle, der wichtigste Musikclub der Stadt in den 1980ern, nicht fehlen. „ZK hieß eigentlich Zentralkomitee Stadtmitte, das war aber zu lang für Ankündigungen in den Stadtmagazinen“, weiß der Moderator und Radiojournalist.

 

Direkt neben der Natalie-Bar mit Striptease

Für Musiker, die noch keine großen Hallen füllten und so gut wie nie im Radio gespielt wurden, gab es vor bald 40 Jahren bei den Schwaben nur ein Ziel. Die Mausefalle befand sich im ersten Stock an der Tübinger Straße direkt neben einem Striptease-Schuppen, der den schönen Namen Natalie-Bar trug. Und genau hier ist’s passiert! „Zwar verlegte Campino die Geschichte in seinem Buch ,Bis zum bitteren Ende‘ in eine andere Stadt, doch sie trug sich in Stuttgart zu“, erzählt Stefan Siller, ein Pionier der Stuttgarter Live-Rock-Historie und über Jahrzehnte beliebter Radiomoderator der Sendung „SWR l Leute“. Campino, weiß man inzwischen, hatte die schwäbischen Punks unterschätzt. Der Arme erlebte den vielleicht peinlichsten Moment seiner Karriere. Denn die hiesige Pogo-Gemeinde spielte mit ihm quasi „Verstehste Spaß?“.

„Campinos Erinnerungen waren etwas getrübt“

Die Fans bauten vor der Bühne Stuhlreihen auf, setzten sich auf die Stühle, verschränkten gelangweilt die Arme und zeigten während des gesamten Konzerts null Reaktion. Campino war völlig fertig, verstand die Welt nicht mehr. Es dauerte, bis er erkannte, die wollten ihn nur ein wenig verarschen.

Nach dieser denkwürdigen Nacht wagten sich die Fortuna-95-Fans trotzdem noch zu einem weiteren Konzert in die Mausefalle. Es fand im Rahmen einer „ZK-Abschiedstournee“ statt. „Leider waren Campinos Erinnerungen auch in dieser Angelegenheit etwas getrübt“, sagt Siller, „denn er schreibt in seinem Buch, dass 800 Leute vor der Mausefalle gestanden hätten.“ Schon die Hälfte hätte den langjährigen Radiojournalisten und seine Mitstreiter von Paul-Musik zufriedengestellt. Als es dann die Toten Hosen tatsächlich gab, ging Paul mit ihnen ins größere Maxim an der Olgastraße– der Andrang war so gewaltig, dass der Laden gestürmt wurde.

Die Mausefalle hat Stars gemacht

Eines Tages, sagte man damals, werden die Jungs aus Düsseldorf in der neuen Schleyerhalle (das erste Konzert gab’s dort im Jahr 1983) spielen. Es sollte tatsächlich so kommen. Die jungen Männer von der Mausefalle haben so mancher Karriere auf die Sprünge geholfen. Sie haben Stars gemacht.

1978 war Siller zum Südfunk nach Stuttgart gekommen. Mit den Journalisten Werner Heitmann und Hermann Stange hatte er 1980 Paul-Musik als „Verein für zeitgenössische Jugendkultur“ gegründet. Wie es zu dem Namen kam? „Wir fanden ihn einfach gut“, antwortet Stefan Siller. Von PR, Catering oder Gema-Gebühren hatten sie keine Ahnung. Und doch ging alles sehr schnell. Sie machten alles selbst: Saßen an der Kasse, schmierten Brötchen für die Künstler und handelten Anteile aus – 70 zu 30 oder 60 zu 40 für Band und für Paul.

Die Mausefalle war die Idee des Kabarettisten Werner Finck

Eigentlich wollte Paul-Musik das Feuersee-Kino rocken, in dem sich heute das Theater der Altstadt im Westen befindet. Doch der Kinopächter sagte den geplanten Gig kurzfristig ab, weil er bei dem möglichen Lärm Angst vor den Anwohnern hatte. Schließlich landete man in der Mausefalle, einem Ort mit Tradition. Der geniale Kabarettist Werner Finck war hier von 1946 an aufgetreten.

Den Namen des Theaters hatte er von Shakespeare entnommen. Hamlets Vater wird mit einem grausigen Verbrechen konfrontiert, und der Sohn fragt ihn: „König, hast du den Inhalt gehört, vergiftet in Spaß?“ – „Wie nennt Ihr das Stück?“, will der Geist wissen. Die Antwort: „Mausefalle.“ Das Kabarett überlebte nicht, es folgte Cabaret – Frivoles aus Paris. Dann wurde es mit einem Tanzcafé versucht, das US-Soldaten anzog. Der einstmals gute Ruf der Falle litt, und der Pächter versprach sich mit Konzerten von Paul-Musik bessere Umsätze.

Um Hotelkosten zu sparen, ging’s in ein besetztes Haus

Wer in den Biografien großer Künstler nachliest, wo sie ihre ersten Auftritte in Stuttgart hatten, stößt immer wieder auf die Mausefalle. Ob Inga Humpe mit den Neonbabies, ihre Schwester Annette Humpe mit Ideal, Trio, Spider Murphy Gang, Die 3 Tornados oder BAP – alle waren hier, als noch wenige sie kannten. Ton, Steine, Scherben mit Rio Reiser kamen, als sie ihren Zenit schon überschritten hatten.

Die Zeitungskritiker waren begeistert, weil ihnen die Musik gefiel und die Falle ein schräges Thema war. Klaus Voormann, der in Hamburg bei den Beatles den Bass zupfte, nahm in der Mausefalle ein Konzert von Trio auf – es wurde eines der bestverkauften Tapes jener Zeit.

Nicht nur, dass BAP im ersten Stock der Tübinger Straße ihren allerersten Auftritt außerhalb des Großraums Köln hatten – nein, die Band wurde auch noch zur Illegalität verführt. Paul-Musik brachte Wolfgang Niedecken und Co. in einem besetzten Haus in Heslach unter, um Hotelkosten zu sparen. „Die Hausbesetzer nutzten die Gelegenheit zum Ausgang“, erzählt Siller, „sodass die Kölner Musiker grün uniformierten Räumern allein gegenübergestanden hätten.“ Die Polizei kam aber in dieser Nacht nicht.

Skurrile Szenen spielten sich ab

1982 standen Siller und seine Mitstreiter kurz davor, Pächter der Mausefalle zu werden. Fast hätte der Radiomann seinen festen Job im Funkhaus aufgegeben. Mit dem Referenten von OB Manfred Rommel lieferte er sich einen heftigen Schriftverkehr. Der Mann im Rathaus hieß Wolfgang Schuster – er sollte später OB werden.

Stefan Siller erinnert sich: „Die Mausefalle als von der Stadt unterstützter Jugendkulturtreff schien bereits in trockenen Tüchern, und OB Rommel hatte in einer Vorlage an den Gemeinderat bereits geschrieben, dass die Stadt Stuttgart dieses Projekt unterstützen sollte. Doch dann hielt das Baurechtsamt eine neue Klimaanlage für nötig, die insgesamt noch mal 500 000 Mark kosten sollte. Damit war das Projekt gestorben.“

Es war das Ende der Falle. Paul-Musik organisierte danach Konzerte im Maxim sowie in der Röhre – auch diese Konzertbühnen haben nicht überlebt.

„Paul bringt’s“, stand auf den Eintrittskarten der Falle. Das erste Stuttgart-Konzert von Ideal am 17. Februar 1981 kostete neun Mark. Skurrile Szenen spielten sich ab, wenn der Bus der Tour „Stuttgart bei Nacht“ vor der Mausefalle stoppte. Die etwa von der Schwäbischen Alb angereisten Herren, auf der Suche nach unbekleideten Damen, wollten die Natalie-Bar ansteuern, mussten sich auf der schmalen Treppe aber erst mal an Hippies und Punks vorbeischlängeln. Auf der Bühne der Falle haben die Musiker noch geraucht, wie auch das Publikum, das bei Konzerten gern auf Tischen stand.

Wo bleibt der Verein für zeitgenössische Seniorenkultur?

Heute würde es zumindest ein Rauchverbot in der Mausefalle geben. Mittlerweile ist Stefan Siller im Ruhestand. Höchste Zeit wäre es also, Paul-Musik zu neuem Leben zu erwecken und einen Verein für zeitgenössische Seniorenkultur zu gründen. „Das wäre mal eine Überlegung wert“, sagt Siller.

Wäre ja auch ein Spaß, wenn zur Eröffnung BAP, die Hosen und Annette Humpe noch mal kämen. Und Campino könnte sich als späte Rache auf der Bühne vor allen umdrehen.