Der geständige Dopingsünder Stefan Schumacher aus Nürtingen gibt im StZ-Interview tiefe Einblicke in das Dopingsystem des Radsports und erneuert seine Vorwürfe gegen seinen ehemaligen Teamchef Hans-Michael Holczer.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart – Zehn Tage ist die Wahrheit nun alt. „Obelix im Zaubertrank“, titelte der „Spiegel“ zu Stefan Schumachers Dopinggeständnis. Wie ein Teller Nudeln habe Doping zu seinem Alltag gehört, sagte der Radprofi. Nun sitzt er zu Hause am Küchentisch in Nürtingen, es ist das erste Gespräch nach dem D-Day. Dem Doping-Tag. Gut fühle er sich, sagt der 31-Jährige. Befreit von einer Last. Es wird trotzdem ein anstrengendes Gespräch über mehrere Stunden. Intensiv, hart, schmerzhaft. Manchmal stocken die Worte, er ringt um Fassung. Er wolle nicht heucheln, sagt er, nicht eine Geschichte erzählen, die die Öffentlichkeit gerne hören wolle, sondern die Wahrheit. Er ist wohl Opfer eines perfiden Systems, aber er ist auch Täter.
Herr Schumacher, haben Sie sich nach Ihrem Geständnis versteckt?
Nein, ich war ganz normal trainieren und bin in Nürtingen einkaufen gewesen.

Sind Sie oft angegangen worden?
Gar nicht. Ich sehe meinen Fehler ein und bereue es – und ich habe das Gefühl, dass die Leute mich verstehen können.

Sie haben ein Jahrzehnt gelogen.
Anfangs war es gar nicht so schlimm. Ich musste nicht lügen, weil sich keiner für Doping interessiert hat. Erst mit der Fuentes-Affäre 2006 ist es ein riesen Thema geworden. Das war, als hätte jemand die Sauna aufgedreht, es wurde heißer und heißer.

Das Lügen begann?
Im Radsport hatte sich nichts geändert, aber der Stress von außen wurde immer größer. Doping war doch Teil unseres Geschäfts, so habe ich es gelernt – und auf einmal überall Fragen. Es klingt heute verrückt: Aber ich war damals wütend, jeder hat doch Leichen im Keller, warum wir, so dachte ich. Wenn ich gefragt wurde, habe ich natürlich gesagt, dass ich nicht dope. Was auch sonst? Wer dopt, muss lügen.

Auch gegenüber der Familie?
Leider ja. Das war brutal. Ich habe die Wahrheit nie ausgesprochen.

Bis im Oktober 2008 Ihre positiven Proben aus der Tour bekannt wurden.
Der schlimmste Moment meines Lebens. Als der Anruf kam, saßen wir zufällig hier bei mir. Ich bin kurz raus, dann habe ich zu meiner heutigen Frau Ina gesagt: Ich muss mit dir reden. Was ich in ihrem Gesicht gesehen habe, tat so weh. Ich habe sie und die ganze Familie in die Scheiße geritten.

Sie haben noch im August 2008 in einem StZ-Interview offensiv um Vertrauen in den Radsport und Ihrer Person geworben. Haben Sie geglaubt, was Sie erzählt haben?
Nein. Aber was hätte ich tun sollen? Man steigert sich da richtig rein und versucht es, überzeugend zu machen. Es war übel.

 

Bald drei Jahre ist es nun her. Stefan Schumacher saß an einem warmen Tag im August 2010 in Nürtingen in einem Café. Seine Dopingsperre war abgelaufen, seine zweite Karriere sollte beginnen. Er wolle nach vorne schauen, sagte er. Er hatte die Lügerei damals schon satt, aber gestehen wollte er nicht. Oder er konnte nicht. Aus Angst. Vor Nachforderungen oder was auch immer. Mit Andeutungen und Formulierungen umkreiste er das D-Wort. Es war eine Beichte, ohne zu beichten. 18 Monate und zuletzt eine Anklage wegen Betrugs hat es gebraucht, um sie in Worte zu fassen.