Infolge der Strompreise machen viele Händler Verluste, Kunden wandern aus Fachgeschäften ab. Wie ein Händler versucht, seine Filialen zu retten.

Geld/Arbeit: Daniel Gräfe (dag)

Sechs Naturata-Geschäfte für Biolebensmittel führt Thilo Kauf am Bodensee und in Oberschwaben, doch ob die Zahl 2023 noch stimmen wird, entscheidet sich wohl im kommenden Winter. Ende des Jahres läuft der Vertrag mit dem Stromanbieter aus. Der Preis pro Kilowattstunde schnellt dann von 22 Cent fast auf das Dreifache auf 62 Cent in die Höhe. „Bei zwei Filialen gibt es konkret Schwierigkeiten. Es ist schon jetzt alles auf Kante gestrickt.“

 

Allein in der 300 Quadratmeter großen Niederlassung in Immenstaad stiegen damit die Stromkosten von monatlich 2500 Euro auf mehr als 7000 Euro. Derzeit erwirtschafte er hier einen Monatsgewinn von knapp 1000 Euro, rechnet Kauf vor. Künftig mache er allein aufgrund des Strompreises wohl bis zu 4000 Euro Verlust. Abermals versucht Kauf, Strom einzusparen. Er stellt die Kühlung für Kaltgetränke und Gemüse teils ab und überlegt sich, ob er künftig eine Stunde später öffnen und früher schließen könnte – doch er hat Angst, dass dann noch mehr Kunden abwandern.

Ein Fünftel der Kundschaft habe er in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr verloren, sagt Kauf. Auch die Biokäufer reagieren auf die steigenden Strom-, Heiz-, Sprit- und Lebensmittelpreise und greifen zu den Biomarken der Discounter. Vorbei die Zeiten, in denen die Biofachgeschäfte Kunden gewannen, weil sich die Verbraucher in der Coronakrise zuhause ein besseres Essen leisteten. „Wenn die Butter anderswo billiger ist, wechseln viele den Laden – derzeit wird zuerst an Lebensmitteln gespart“, sagt Kauf. „Wir haben deshalb keinen Spielraum, die steigenden Stromkosten auf die Preise umzulegen.“

Auch deshalb warnt der Handelsverband Deutschland (HDE) vor Geschäftsaufgaben. Eine aktuelle Umfrage unter 900 Unternehmen ergibt, dass sich jedes fünfte in den kommenden zwölf Monaten in Existenzgefahr sieht. Neun von zehn befragten Händlern gaben an, sie könnten steigende Energiekosten nicht oder nicht vollständig auf die Verbraucherpreise aufschlagen. „Nach den für viele Händler harten beiden Coronajahren mangelt es vielerorts an finanziellen Rücklagen, um die Energiepreisentwicklung kurzfristig auffangen zu können. Deshalb muss der Staat nun auch dem Einzelhandel unter die Arme greifen“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.

Der Handelsverband Baden-Württemberg fordert deshalb einen zumindest temporären Strompreisdeckel. Damit will der Verband die Strompreisbremse, die die Bundesregierung für das dritte Entlastungspaket angekündigt, aber bisher nur wenig konkretisiert hat, auch für Händler öffnen. Hauptgeschäftsführerin Sabine Hagmann, die am Montag zu einer virtuellen Pressekonferenz lud, zu der auch Kauf und zwei weitere Händler zugeschaltet waren, sagte: „Die Verbraucher müssen Sicherheit haben – aber die Händler auch.“ Der Staat müsse einspringen, wenn der Marktpreis über dem Deckel liege.

Hagmann forderte auch eine Gaspreisbremse, die derzeit im Gespräch ist. Die Gasumlage solle ganz entfallen. „Dennoch kann es sein, dass Unternehmen weitere Hilfen brauchen“, ergänzte sie. Deshalb dringt der Handelsverband auf „kurzfristig wirksame“ Wirtschaftshilfen für Unternehmen, deren Energiekostenanteil mindestens drei Prozent am aktuellen Umsatz ausmacht. Aktuell würden die Energiekosten bei den Handelsunternehmen im Schnitt 1,5 bis zwei Prozent des Umsatzes betragen, hieß es.

Die Händler wollen wieder zuverlässig kalkulieren können

„Wir brauchen eine Deckelung, damit wir wissen, mit was wir kalkulieren müssen“, sagte Alexander Seppel, der in Heidelberg, Mannheim und Baden-Baden Schuhgeschäfte führt. „Die Kerze brennt von beiden Seiten herunter. Die Kunden haben weniger Geld, die Beschaffungskosten werden immer teurer – und wir stehen in der Mitte.“

Seppel profitiert derzeit noch davon, dass seine Stromverträge langfristig gesichert sind. Dennoch hat er die Beleuchtung auf LED umgestellt und die Klimaanlagen erneuert. „Wir haben viel investiert, um Energie zu sparen.“ Doch auch er überprüft bereits, ob er alle Standorte halten kann, der Umsatz geht zurück. „Notfalls muss man das kranke Bein abschneiden.“

Während hochwertige Ware weiter gekauft wird, sind für etliche Verbraucher die Waren im unteren Preissegment zu teuer geworden. Sie meiden die Fachgeschäfte wie jene von Seppel und suchen bei den großen Ketten und Discountern ihr Glück. Die Konsumlaune war laut GfK selbst in der Hochphase der Pandemie besser und ist derzeit auf einem historischen Tief. Ähnlich sieht die Stimmung der Händler aus: Das Institut für Wirtschaftsforschung teilte am Montag mit, die Geschäftserwartungen im Einzelhandel seien im hauseigenen Index auf einem historischen Tief.

Biohändler Kauf hofft, dass sich die Aussichten zumindest mittelfristig wieder verbessern. Knapp acht Prozent habe er bisher im Vorjahresvergleich Verlust gemacht. Andere Biohändler klagten oft über weitaus höhere Einbußen, ergänzt er. Noch beschäftigt Kauf 98 Menschen. „Es würde auch mich schmerzen, wenn ich Filialen schließen müsste.“