In den Vereinigten Staaten wird so viel Whiskey gebrannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Kleine Distillen boomen. Während die Spirituose damals eher reine Männersache war, ist Whiskey heute auch bei vielen Frauen beliebt.

Lawrenceburg - Jimmy Russell hat einen dicken Bauch und lacht gerne. Nun sitzt er schon am frühen Morgen vor acht Gläsern mit acht verschiedenen Whiskeysorten und gibt den Alleinunterhalter. Früher, sagt Russell, seien Whiskey und Bourbon, wie das Getränk in Kentucky genannt wird, eine Sache für Zigarren rauchende Männer beim Kartenspiel gewesen. Heute dagegen seien auch die Ladys ganz versessen auf seinen Bourbon, sagt der 78-Jährige. Das ist eine Beschreibung des Phänomens vom Erfolg des Whiskeys, aber keine Erklärung.

 

Russell kümmert das nicht. Er will jetzt zeigen, wie eine richtige Whiskey-probe in Kentucky aussieht. Darin hat er Übung, er macht das seit fast 60 Jahren. Er ist der Brennmeister von Wild Turkey, einer Distille in der Hügellandschaft von Kentucky. Russell greift sich eines der Probiergläser, die vor ihm aufgebaut sind, beschnuppert die Spirituose eingehend, nimmt einen Schluck, kaut genießerisch auf der goldbraunen Flüssigkeit, schluckt und gibt ein euphorisch klingendes „Aahh“ von sich. Bis zu 200 unterschiedliche Geschmacksvarianten wollen Kenner im US-Whiskey entdeckt haben.

Die besten Verkaufszahlen seit dem Ende der Prohibition

Wild Turkey, Jack Daniel’s, Jim Beam, George Dickel, Maker’s Mark, Woodford Reserve – es mangelt nicht an Whiskeysorten in den USA. Gemein ist ihnen allen, dass sie seit ein paar Jahren gekauft werden wie noch nie seit dem Ende der Prohibition Anfang der 1930er Jahre. „Wir sind mitten in einer Whiskeyrenaissance“, sagt etwa Fred Noe, der in siebter Generation Brennmeister bei Jim Beam ist.

Die Zahlen geben ihm recht. Im vergangenen Jahrzehnt lag der Umsatzzuwachs der US-Destillen bei 70 Prozent. 2012 wurde einheimischer Schnaps für insgesamt 6,5 Milliarden US-Dollar verkauft. Die Exporterlöse stiegen 2012 auf eine Rekordhöhe von fast 1,5 Milliarden US-Dollar. 2002 lag dieser Wert noch bei knapp über 500 Millionen Dollar. Allein in Deutschland verkauften die amerikanischen Brennereien vergangenes Jahr Spirituosen im Wert von 120 Millionen Dollar. Zehn Jahre zuvor waren es etwas mehr als 64 Millionen.

Das Geschäft lohnt sich. Längst sind die meisten US-Brennereien in der Hand internationaler Konzerne. Russells Wild Turkey etwa gehört inzwischen zu Campari. Andere Brennereien wurden von Diageo gekauft, einem britischen Konzern. Und der Staat verdient kräftig mit. Jimmy Russell, der stets gut gelaunte alte Mann, sagt: „Wir schulden Uncle Sam alle zwei Wochen 1,5 Millionen US-Dollar an Steuern.“

Honig mildert den hölzernen Geschmack ab

Es gibt unterschiedliche Erklärung für den Boom des einheimischen Schnapses in den USA. Die einen sagen, die Brennmeister hätten ein glückliches Händchen gehabt, als sie ihren Whiskey mit Honig versetzten, um ihm den hölzern-herben Beigeschmack zu nehmen und eine neue Sorte zu kreieren. Jimmy Russell etwa hat das schon vor vielen Jahren gemacht, obwohl er sagt, das Zeug schmecke ihm nicht: „Ich mache davon höchstens im Sommer etwas auf das Eis.“

Andere wiederum sagen, der Erfolg liege an den neuen Mischgetränken auf Whiskeybasis. Jim Beam etwa unterhält ein sogenanntes Globales Innovationszentrum auf einer Wiese nahe Clermont in Kentucky. Das ist gewissermaßen das Forschungszentrum der Schnapsindustrie. Dort arbeitet die Lebensmitteltechnikerin Heather Daines gerade an einer Mixtur aus Bourbon, der mit Kirschsaft versetzt ist und später mit Ingwerbrause und Limettensaft gemischt wird.

Wieder andere finden, dass diese Art der Geschmacksbeigabe eine Sünde sei. Der Erfolg des US-Whiskeys liege daran, dass sich immer mehr kleine, aber feine Brennereien einen kleinen, aber feinen Markt erschlössen. Tatsächlich werden von Monat zu Monat neue Destillen in den USA aufgemacht. Raj Peter Bakhta versucht es mit Roggenwhiskey, von dem er kleine Mengen im Neuenglandstaat Vermont herstellt. Das Geschäft laufe ganz gut, sagt der 37 Jahre alte Sohn eines indischen Vaters und einer irischen Mutter. Die Leute wollten etwas Originelles haben, nicht immer nur Massenware, sagt Bakhta. Ob er von der Whiskeybrennerei leben kann, will der Mann allerdings nicht verraten. Zweifelsohne gehört er aber zu jener jungen Generation von Amerikanern, die sich zutraut, den Markt aufzumischen.

Statt Gerste wird Mais und Roggen zum Brennen verwendet

Der amerikanische Whiskey ist älter als die Vereinigten Staaten von Amerika. Als die ersten Siedler aus Schottland und Irland jenseits des Atlantiks ankamen, brachten sie das Wissen um die Herstellung des Schnapses mit ins Land. Allein: in den USA fehlte es an Gerste, dem Grundstoff für schottischen Malzwhiskey. Also nahmen sie Mais und Roggen – Getreidesorten, die es im Überfluss gab. Auch der erste Präsident des Landes, George Washington, erkannte gegen Ende des 18. Jahrhunderts, dass sich mit Whiskey viel Geld verdienen lässt. Noch heute steht in Mount Vernon nahe der Hauptstadt Washington seine alte Brennerei. Seit ein paar Jahren wird dort Whiskey hergestellt – in überschaubaren Mengen und mit den Instrumenten, die zu Washingtons Zeiten gängig waren. Einmal pro Jahr wird der Schnaps versteigert – die Hauptstädter zahlen für den Whiskey regelrechte Fantasiepreise.

Erst nach dem Ende der großen Wirtschaftskrise und dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann der Wiederaufstieg. Auch die Tatsache, dass Kentucky und Tennessee im sogenannten Bibelgürtel der USA liegen, konnte nichts daran ändern. Dort schaffen es streng religiöse Christen bis heute, dass der Verkauf von Alkohol in vielen Bezirken verboten ist. Allisa Henley sagt: „Meine Mutter hat für mich gebetet, als sie erfuhr, dass ich hier eine Arbeit gefunden habe.“ Henley führt Besucher durch die Brennerei George Dickel in Normandy in Tennessee. Doch die Stoßgebete halfen sowieso nichts. Amerika war damals durstig auf Whiskey. Frank Sinatra besang Mitte der 50er Jahre den amerikanischen Schnaps als „Nektar der Götter“. Passend dazu nahm er gerne einen Drink mit auf die Bühne.

Der Whiskey wich dem Wodka

Gegen Anfang der 70er Jahre aber verloren die Amerikaner die Lust auf den einheimischen Schnaps. Auch der genaue Grund dafür ist nicht bekannt. Der Zeitgeist im Gefolge der protestierenden Jugendbewegung der späten 60er Jahre sei verantwortlich, sagen die einen. Unsinn, sagen die anderen. Die Amerikaner hätten einfach den Wodka für sich entdeckt.

Seit ein paar Jahren aber geht es – ebenso unerwartet – wieder nach oben in der Whiskeyindustrie, wie das Geschäft in den USA genannt wird. Jimmy Russell, der kundige Brennmeister von Wild Turkey, sagt: „Erst 2012 haben wir wieder mehr Bourbon gebrannt als 1973.“ Dann setzt er noch einmal das Probiergläschen an die Lippen, kaut, schluckt und sagt versonnen, so schlecht seien die alten Zeiten aber auch nicht gewesen. „Als ich klein war und Zahnschmerzen hatte, hat mir meine Mutter das Zahnfleisch mit Bourbon eingerieben. Heute würde sie dafür im Knast sitzen – wegen Kindesmissbrauchs.“