Immer mehr geflüchtete Menschen suchen ein Dach über dem Kopf. Die Zahl steigt sprunghaft. Kommunen nehmen jetzt wieder Sporthallen in Beschlag. Doch Fellbach will einen anderen Weg gehen.

Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)

Wegen der massiv ansteigenden Flüchtlingszahlen nehmen immer mehr Städte und Gemeinden im Rems-Murr-Kreis wieder die örtlichen Sporthallen in Beschlag. Provisorisch zu einer Notunterkunft umgebaut, sollen sie den vom Landkreis an die Kommunen überwiesenen Menschen aus Kriegsgebieten ein erstes Dach über dem Kopf bieten.

 

Die Stadt Waiblingen beispielsweise belegt in diesen Tagen die in aller Eile mit Stockbetten für gut 60 Personen versehene Kleinturnhalle im Stadtteil Hohenacker, als zweite Unterkunft soll im Oktober die nicht einmal zwei Kilometer entfernte Gemeindehalle im Teilort Neustadt genutzt werden können. Außerdem sollen in Hohenacker spätestens in drei Wochen zehn sogenannte Mobile Homes für etwa 40 Menschen zur Verfügung stehen – laut Oberbürgermeister Sebastian Wolf werden die Unterkünfte in der nächsten Woche auf Lastwagen verladen.

Auch im Nachbarort Kernen weiß sich das Rathaus nicht anders zu helfen, als die Sporthalle der Haldenschule zu sperren und als provisorische Unterkunft für geflüchtete Menschen zu belegen. Weil die verfügbare Bettenkapazität bereits jetzt erschöpft ist, kann die Gemeinde laut Bürgermeister Benedikt Paulowitsch nicht auf die Fertigstellung der beiden auf den Weg gebrachten Projekte in der Blumenstraße und in der Gottlieb-Daimler-Straße warten. Dort sollen Anfang 2023 annähernd 80 Plätze für die Anschlussunterbringung zur Verfügung stehen – zu spät für die aktuelle Problemlage. Denn die aktuellen Flüchtlingszahlen haben eine Dimension erreicht, die selbst mit dem als Krisensituation geltenden Jahr 2015 nicht mehr zu vergleichen ist.

Staatssekretär Siegfried Lorek spricht von einer Verdoppelung der Zahlen

Siegfried Lorek, Staatssekretär im Ministerium für Justiz und Migration, sprach jüngst beim Ortstermin in Leutenbach von einer Verdopplung der damaligen Zahlen. „Man hat fast den Eindruck, dass die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Dimension bei den Kommunen, aber auch bei der Bevölkerung noch gar nicht richtig angekommen ist“, sagte der CDU-Politiker über die bereits in den Sommermonaten in die Höhe geschnellten Zahlen.

Ebenso in Fellbach löst die Aussicht auf einen auch in den Wintermonaten anhaltenden Flüchtlingsstrom große Sorge aus. „Das Leid der Zivilbevölkerung in der Ukraine ist unermesslich“, spricht Oberbürgermeisterin Gabriele Zull angesichts steigender Zahlen von einer „humanitären Herausforderung“. Noch Anfang des Jahres hatte sich die Stadt darauf eingestellt, die vom Landratsamt als Prognose gemeldeten 111 geflüchteten Menschen unterbringen zu müssen. Mit dem russischen Überfall aufs Nachbarland im Februar war dieser Zahlenhorizont ein Fall für den Papierkorb, inzwischen rechnet die Stadt damit, 630 Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf bieten zu müssen – knapp sechsmal so viel Menschen, wie einst erwartet.

Wie sieht die Lösung in Fellbach aus?

Bei der Schaffung von Notunterkünften allerdings will Fellbach einen anderen Weg gehen als die Nachbarkommunen – und auf die Sperrung von Sporthallen möglichst verzichten. Im Schulterschluss mit der für den Wohnungsbau zuständigen Rathaustochter WDF soll versucht werden, mit einer Vielzahl an kleinen Lösungen auf die nötige Bettenzahl zu kommen.

„Durch die Corona-Krise haben die Schulen und Vereine schon genug Beeinträchtigungen erlebt“, sagt Rathauschefin Zull. Statt in der bereits früher für die Flüchtlingsunterbringung genutzten Turn- und Festhalle in Schmiden erneut Rigipswände für die Schlafkojen einzuziehen, hat die Stadt über den Tochterbetrieb beispielsweise das Hotel „Grüner Baum“ im Stadtteil angemietet.

Die Mobile Jugendarbeit der Stadt hat ihren Standort in der Parlerstraße aufgegeben, um das Gebäude als Wohnraum zur Verfügung zu stellen. In der Fellbacher Straße wurde ein Gebäude instandgesetzt, auch städtische Wohnungen, beispielsweise im Großen Haus, sind für in Not geratene Menschen reserviert. Außerdem wird das Containerdorf in der Tournonstraße beim Schmidener Sportzentrum wiederbelebt. Möglich werden die 100 Plätze auch deshalb, weil die Stadt vorausschauend geplant hat. Bereits im Mai gab der Gemeinderat grünes Licht für den Kauf noch vergleichsweise preisgünstig beschaffbarer Wohncontainer. Inzwischen ist der Markt wie leer gefegt.

Der Markt für gebrauchte Wohncontainer ist inzwischen wie leer gefegt

Mit den bereits bestehenden Unterkünften im Roncali-Haus, dem Freibad-Areal, der Staufferstraße und dem Apart-Hotel hat sich der verfügbare Platz von knapp 300 auf 570 Betten fast verdoppelt. Außerdem ist der Vertrag für eine Büroimmobilie fast unterschriftsreif, kommendes Jahr sollen mit der Sanierung der Bruckstraße weitere Plätze hinzukommen. Die Fellbacher Oberbürgermeisterin warnt dennoch davor, die Last der Flüchtlingszahlen den Kommunen allein aufzubürden. „Wir sind an der Grenze. Auch bei uns gibt es genügend Menschen, für die wir Wohnung schaffen müssen“, sagt Zull.

Auch der Rems-Murr-Kreis nutzt die Sporthallen

Unterkünfte
Die steigenden Zahlen an vor dem Krieg in der Ukraine flüchtenden Menschen bringen auch den Rems-Murr-Kreis unter Zugzwang. Seit dem russischen Überfall im Februar sind in Waiblingen mehr als 4000 Flüchtlinge angekommen. Aktuell kommen pro Woche etwa 200 nach Schutz suchende Menschen dazu – aus der Ukraine, aber auch aus anderen Ländern. Nach der bereits seit Frühjahr als Anlaufstelle genutzten Sporthalle des beruflichen Schulzentrums Waiblingen, schafft der Landkreis auch etwa 100 Plätze in der Sporthalle des beruflichen Schulzentrums Schorndorf und eine Zeltunterkunft in Backnang als Notunterkunft vor. In Fellbach hat sich der Landkreis das Hotel am Kappelberg für die Unterbringung gesichert. Die Behörde spricht von einer „überraschenden Ankündigung erheblicherZuweisungszahlen“ durchs für die Verteilung zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe. Landesweit hat sich die in den ersten Wochen nach Kriegsausbruch weit unterdurchschnittliche Zahl der Ukraine-Flüchtlinge mehr als verdoppelt. Die Kapazität der Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes mit 11 500 Plätzen sind laut eines Sprechers des Justiz- ministeriums erschöpft.