Fliegen Gäste raus, die im Sternerestaurant vom Teller des anderen probieren? Eine Geschichte über unfreundliche Grüße in der Rechnung und schwarze Listen in der Spitzengastronomie.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Das Internet und der Bekanntenkreis sind voll von Geschichten, die ungefähr so gehen: Unbescholtene Gäste wollten sich mal was gönnen und haben einen Tisch im Sternelokal reserviert. Weil das alles so aufregend ist, haben sie vom Teller des anderen probiert. Und in der Rechnung war dann der dezente Hinweis zu finden, dass man diese Lokalität bitte nicht mehr wieder beehren soll. Wegen schlechter Manieren.

 

Diese Geschichte, immer wieder gern erzählt, hat noch eine zweite Ebene, die mit bornierten Sterneköchen zu tun hat, mit abgehobenen Gästen und arroganten Oberkellnern. Die dann nicht mal den Mumm haben, es dem vermeintlich grobschlächtigen Gast ins Gesicht zu sagen, dass er in ihren Kreisen nicht willkommen ist. Es gibt keinen besseren Anlass, um über die Großkopferten zu schimpfen.

5000 Euro Belohnung für eine Rausschmiss-Rechnung

Die Spitzenköche sehen durch diese Geschichten ihren Ruf und vor allem ihr Geschäft geschädigt und wehren sich beharrlich dagegen. Als 2011 ein anonymer Nutzer namens Casandra1234 auf dem Online-Bewertungsportal Tripadvisor die Geschichte über eine Art Hausverbot wegen schlechten Benehmens in den „Südtiroler Stuben“ verbreitete, antwortete deren Chef Alfons Schuhbeck in der „Münchner Abendzeitung“. „Totaler Schmarrn“ sei das, so Schuhbeck. Wer ihm das besagte Schreiben samt Rechnung präsentiere, erhalte 5000 Euro „Belohnung“.

Es war dieselbe Antwort, die viele andere Sterneköche auf den „Rote-Karte-Vorwurf“ geben: alles Gerüchte, da ist nichts dran, noch nie habe jemand einen Beweis vorlegen können. Zwei Jahre vor Alfons Schubeck hatte Johann Lafer 3000 Euro für einen solchen Nachweis geboten. Den Rekord hält das Restaurant Canlis in Seattle, das laut Website „seit mehr als einem halben Jahrhundert“ darauf wartet, dass jemand die 1000 Dollar abholt, die für das Vorzeigen einer restauranteigenen „Don’t come back“-Karte ausgelobt wurden.

Gibt es andere Regeln, die zu einem Rauswurf führen?

Auch für die hier zu lesende Geschichte sind wir vielen Hinweisen nachgegangen. Doch keiner von mehr als einem halben Dutzend Ansprechpartnern wollte oder konnte bestätigen, dass er oder sie wegen Verstößen gegen die Etikette in einem Sternelokal einen entsprechenden Hinweis in der Rechnung gefunden hätte.

Alles Legende? Und wenn es okay ist, vom Teller des Partners zu probieren – gibt es vielleicht andere Regeln, die zu verletzen zum galanten Rauswurf führen?

Bei Fehlverhalten landet man auf der „Black List“

Anruf bei einer Gastronomin, die einige Jahre in der Spitzengastronomie gearbeitet hat, auch im Drei-Sterne-Bereich. Sie sagt gegenüber der Stuttgarter Zeitung: „Auf jeden Fall gibt es so einen Hinweis auf der Rechnung“. Die Frau, die heute selbst eine Gastronomie in der Region Stuttgart betreibt, will anonym bleiben. „Das Thema wird in der Spitzengastronomie relativ diskret behandelt.“ Darüber offen zu reden, hält sie für zu gefährlich.

„Es gibt Etikette, die man wahren muss“, sagt die ehemalige Mitarbeiterin eines baden-württembergischen Nobelbetriebs. Wer diese Etikette nicht einhält – weil er sich, Zitat, „rüpelhaftes Benehmen“ leistet oder andere Gäste stört –, dessen Name wird vom Restaurant- an den Abteilungsleiter weitergegeben. In besonders schwerwiegenden Fällen erhalte der Gast seine Rechnung mit einem Schreiben nach dem Motto: Bitte beehren Sie uns nicht wieder. Man könne auch auf der hauseigenen „Black List“ landen. Für Kunden, die auf dieser Liste stehen, ist in den Lokal fortan immer alles ausgebucht. „Je höher die Sternezahl, desto häufiger kommt so etwas vor“, sagt die Gastronomin.

Manchmal wird man von einem anderen Gast verpetzt

Das mit der schwarzen Liste bestätigt auch Renate Finkbeiner von der Traube Tonbach. Von Hinweisen, die mit der Rechnung gereicht werden, weiß sie nichts. „Dass wir da was sagen, das ist nicht unsere Aufgabe, wir erziehen unsere Gäste ja nicht“, sagt Finkbeiner – solche Fälle regle man über die Liste. Was man als Gast tun muss, um auf dieser Liste zu landen, verrät die Hotelchefin nicht. Es sei „wirklich selten“, dass in ihren Sternelokalen jemand unangenehm auffalle, „und das ist manchmal ja auch von der Tagesform abhängig“.

Vom Gericht der Begleitung zu naschen, zählt laut Finkbeiner nicht zu den ungeschriebenen Tabus der Spitzengastronomie. Eine ehemalige Mitarbeiterin erzählt, das sei „in manchen Lokalen definitiv nicht gern gesehen. Es kommt immer darauf an, wie du es machst“. Allerdings spiele auch der Zufall eine Rolle: Wenn sich ein in Knigge-Dingen sensibler Stammgast gestört fühlt und einen ans Personal verpetzt, könne man schonmal Pech haben.

Mobiles Telefonieren im Lokal als größtes Problem

In Stuttgarter Sternerestaurants sieht man die Dinge nach eigener Auskunft lockerer. Vincent Klink von der Wielandshöhe verweist auf einen Eintrag in seinem digitalen Tagebuch von 2009. Dort tut er die Sache mit dem Hinweis auf der Rechnung als „Lüge“ ab. Zu ungeschriebenen Benimmregeln in seinem Lokal äußert er sich auf Nachfrage aber nicht. Im Olivo gibt es keine solchen Regeln, wie eine Sprecherin auf Anfrage erklärt, auch keinen Anzugzwang. Der Kunde ist König, keiner fliegt raus, jeder darf wiederkommen und wenn sich mal ein Kunde über einen anderen beschwert, werde das diplomatisch gelöst.

Gerd Schmid von der Speisemeisterei kann sich an einen einzigen Fall erinnern, an dem zwei Gäste aus dem Lokal komplimentiert werden mussten. Ansonsten sei mobiles Telefonieren im Lokal das größte Benimm-Problem, wobei die dicken Wände der Speisemeisterei gar nicht jeden Anruf durchlassen. Wer dann laut telefonierend am Tisch sitzt, wird hinausgebeten – aber nicht für immer, sondern bloß in den Flur, wo er niemanden stört.

Manche Gäste sind eine Herausforderung für den Service

Vielleicht ist die Wahrheit in Sachen Benimm im Sternelokal folgende: in manche Lokale wird man nicht mehr reingelassen, wenn man gegen eine der ungeschriebenen Regeln verstößt. Das läuft dann aber diskreter als mit einem Hinweis auf der Rechnung; man kann in diesen Lokalitäten dann schlicht keinen Tisch mehr reservieren.

Diese Praxis können sich allerdings nur Restaurants leisten, die immer ausgebucht sind. Die Mehrzahl der Sternerestaurants betont, dass das Wohgefühl des Gasts im Vordergrund stehe – und wenn das Probieren vom Teller des anderen dazu zählt. „Es gibt mehr Sternelokale als früher und mehr Gäste, die sich das leisten wollen“, sagt Gerd Schmid von der Speisemeisterei. Die neuen Gäste mit den Sitten in der Spitzengastronomie vertraut zu machen, sei „eine Herausforderung für das Service-Personal“, so Schmid. Wenn dann jemand trotzdem ein „Bitte beehren Sie uns nicht wieder“ in seiner Rechnung findet, soll er es bitte an die StZ-Redaktion schicken.