Das Doppelkonzert von Placebo und 30 Seconds to Mars war ein tolles Spektakel für Stuttgart. Aber nicht bei allen ein Fest für die Ohren.

Stuttgart - Plötzlich stehen sie alle gemeinsam auf dem Schlossplatz. Die Teenager, die zum Kreischen bereit sind, die Banker, die nach Feierabend noch Anzug tragen, die gemäßigten Punkrocker, die familienorientierten Mittdreißiger und die Menschen, die "Wackeeen!" rufen, sobald es mal wieder Gitarrenmusik und Bier unter freiem Himmel gibt. Es ist also eine etwas eigenartige Atmosphäre, die sich an diesem Donnerstagnachmittag auf Stuttgarts prächtigstem Platz langsam ausbreitet. Irgendwo zwischen Sommerfest und richtigem Rockfestival.

 

Als "The Words" aus England die ersten Songs spielen, ahnen schon ein paar von über 30.000, dass es nicht so ganz einfach werden wird, gut zu sehen und gut zu hören in eine friedliche Koexistenz zu bringen. Wer ganz vorne steht, sieht und hört gut. Wer in der Mitte oder hinten angekommen ist, war entweder zu spät da, oder es ist ihm egal. Schließlich gab es die Eintrittskarten für nur 15 Euro, weil Mercedes mit den Stuttgarter Sternstunden sich selbst und der Stadt ein Geschenk zum 125. Geburtstag des Autos machen will. Da ist es schon mal halb so tragisch, wenn eine Säule den Blick verstellt oder Techniktürme den Schall schlucken wie ein Schwamm das Wasser.

Keine Fotos aus der Nähe

Ganz vorne stehen die Teenager. Überwiegend sind es Mädchen. Und die geraten das erste Mal so richtig ins Kreischen, als die Moderatorin 30 Seconds to Mars ankündigt. Deren Frontmann Jared Leto ist ganz klar der Star der Band. Auch, wenn er schon mal böse wird, wenn Veranstalter mit ihm, dem Hollywoodschauspieler, für dessen Band werben. Dabei ist die darstellende Kunst des Herrn Leto in der Bühnenshow mindestens so wichtig wie die Musik.

Sehr schlank, aber muskulös, in schwarzer weiter Hose, mit schwarzen Handschuhen ohne Finger und einem Oberteil zwischen Schlafanzug und Umhang steht Leto auf der Bühne. Die genaue Beschreibung ist leider nötig. Denn aus der Nähe wollte sich Jared Leto von der Presse nicht fotografieren lassen. Obwohl der Mann, der auch als Model arbeitet, sich das doch leisten könnte. Oder eben auch nicht. Wenn Aussehen auch Kapital ist.

"No! No! No! No!"

Ziemlich pünktlich und fast so gewaltig legen "30 STM" los. Jareds Bruder Shannon macht am Schlagzeug ordentlich Krach, Stroboskope zucken. Nur leider hat bloß das erste Drittel auf dem Schlossplatz so richtig was davon. In der Mitte ist der Sound einfach zu leise. Und so gerät das Publikum selbst bei "Hurricane" oder dem Kracher "Closer to the Edge" nicht so richtig in Fahrt. Nur ganz vorne recken sich Fäuste zu "No! No! No! No!" in die Luft. Zwischen den Songs werden Letos Moderationen immer länger. Bis sie einfach zu lang sind.

Dann holt er Männer, Frauen und auch zwei Kinder auf die Bühne. Das wirkt familiär und spätestens bei "Kings & Queens", als Dutzende Fans auf der Bühne stehen,  ist die Veranstaltung zu so etwas wie ein "Rockkonzert mit Onkel Jared" geworden.

Doch je mehr sich der Schlossplatz bei deutlich über 20 Grad auch am Abend noch füllt, desto fantastischer wird die Kulisse. Das sieht wohl auch die Band so, die ein Foto von der Bühne aus macht und es über Twitter verbreitet.

Hinten die Sonne, vorne die LED-Wand

Am Abend ist dann der Boden für Placebo bereitet. Nach einem Intro mit gewaltigem Bassgewummer kommen die Musiker um Brian Molko auf die Bühne. Und plötzlich ist es so, als habe jemand einen Schleier weggezogen. Auf einmal ist der Klang auch in der Mitte des Platzes gut, die Gitarren klarer, das Schlagzeug kräftiger, die Töne der Gesangsstimme präziser. Sie beginnen mit "For what it's worth" und der ganze Platz scheint plötzlich zu springen, zu singen und zu klatschen. Riesige LED-Flächen tauchen die Innenstadt in sämtliche Farben. Hinten geht die Sonne unter, über dem Schloss geht der Mond auf. Die Stimmung, sie könnte jetzt besser kaum sein.

Klar, Placebo konzentrieren sich bei ihrem einzigen Open-Air-Konzert in diesem Jahr auf die Hits, spielen kaum etwas vom aktuellen Album "Battle for the Sun". Aber von diesen haben sie mehr, als jemandem, der kein großer Fan ist, auf Anhieb einfällt. "Infrared", "Bitter End" oder auch das ruhige "Follow the Cops back home" und das Cover "Running up that Hill" werden gefeiert.

Schlossplatz macht eine exzellente Figur

Sänger Molko reduziert seine Ansagen angenehm und sympathisch, gedenkt der verstorbenen Amy Winehouse und sagt auch was zu den Krawallen in London. Schließlich kommt seine Band von dort.

Auch "Every you, every me" spielen sie. Ziemlich am Anfang. Der Song ist so etwas wie ihr "Wonderwall". Sie wissen, dass sie den ihrem Publikum schuldig sind. Auch, wenn der Eintritt nur 15 Euro gekostet hat. Das Placebo-Konzert fühlte (und hörte) sich hochwertiger an. Und der Schlossplatz hat dabei eine exzellente Figur gemacht.