Die Strecke Karlsruhe-Basel ist zentral für die schnelle Bahnverbindung zwischen der Nordsee und dem Mittelmeer. Doch schnell geht dabei gar nichts.

Rastatt - Dass der Tunnel der neuen Rheintalbahnstrecke eingebochen ist, passt ins Bild. Das Fiasko reiht sich ein in eine lange Kette von Verzögerungen und Problemen. Seit Jahrzehnten steht der Aus- und Neubau der Rheintal-Bahnstrecke auf der politischen Agenda: Die ganze 182 Kilometer langen Strecke soll vierspurig werden. Das Projekt wurde 1980 in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen. Schon damals galt vor allem der Abschnitt zwischen Rastatt und Offenburg als völlig überlastet. Künftig sollen zwei Gleise für die Güterzüge reserviert bleiben, die anderen beiden für bis zu 250 Stundenkilometer fahrende ICE- und TGV-Schnellzüge. Nach optimistischen Schätzungen könnte die Strecke im Jahr 2030 fertig sein. Doch es hakt an allen Ecken und Enden.

 

So hat die Bahn jahrelang darauf gepocht, oberirdisch durch Offenburg zu fahren. Sie wollte dafür bis zu sieben Meter hohe Lärmschutzwälle errichten. Doch die Bürger liefen Sturm dagegen. Nach Tausenden von Einwendungen wurde die oberirdische Trasse vor vier Jahren endgültig als nicht genehmigungsfähig erklärt. Seitdem läuft ein neues Planfeststellungsverfahren – und zwar für einen sieben Kilometer langen Tunnel, der in zwei Röhren unter Offenburg verlaufen soll. Bis wann die Pläne baureif sind, ist allerdings noch völlig offen. Die Bahn, so heißt es, rechne mit der Inbetriebnahme nicht vor 2035. Und der knapp 50 Kilometer lange Abschnitt zwischen Offenburg und Kenzigen befindet sich laut Bahn erst „im Stadium der Vorplanung“.

Zuerst war der Tunnel zu teuer

In Rastatt hätte man schon vor fast 20 Jahren mit dem Bau des Tunnels beginnen können, er wurde damals genehmigt. Doch dem Bund als Bauträger war er zu teuer. Er forderte die Bahn auf, billigere Alternativen zu prüfen. Unter anderem war eine Trasse entlang der Autobahn 5 im Gespräch. Doch sie wurde verworfen. Nach vielen neuen Prüfaufträgen blieb es beim Tunnel. Da der ursprüngliche Planfeststellungsbeschluss – inzwischen war das Jahr 2009 erreicht – aber verfallen war, musste neu geplant werden. Nun allerdings nach dem EU-Recht ein Tunnel mit zwei getrennten Röhren. Sie sind seit Mai 2016 im Bau. Die Ost-Röhre war fast fertig, als sie eingebrochen ist und die darüber liegenden Gleise gesperrt werden mussten.

Schon seit fünf Jahren ist dagegen der Katzenbergtunnel in Betrieb, weit südlich von Freiburg im Markgräfler Land gelegen zwischen Bad Bellingen und Efringen-Kirchen. Mit einer Länge von gut neun Kilometern ist er das größte Einzelprojekt der neuen Rheintalstrecke. Und auch auf einem vierspurigen Gleisabschnitt zwischen Baden-Baden und Offenburg fahren schon seit einigen Jahren Züge.

„Zwölf Millionen Umsatzeinbußen pro Woche“

Doch nördlich davon, zwischen Rastatt und Baden-Baden, herrscht wegen der Sperrung seit dem 12. August meist Stille. Das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), eine Lobbyvereinigung der privatwirtschaftlichen Gütertransporteure, kritisiert, die Eisenbahn-Unternehmen hätten seit dem Unglück „zwölf Millionen Euro Umsatzeinbußen pro Woche zu verkraften“. Das NEE fordert daher eine Sondersitzung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur beim Bundestag. Die Bahn-Tochter Bahn Cargo sagt nicht, wie viele Güterzüge sich zurzeit stauen.

Für den 52-jährigen Wirtschaftsmathematiker Matthias Lieb ist der Unfall bei Rastatt eine Art „Super-Gau“. Die Vollsperrung der Rheintalbahn über Wochen wegen des Tunnel-Unglücks sei „symptomatisch für den Zustand des bundeseigenen Eisenbahnverkehrs in Deutschland“, schimpft er. Der Zahlenexperte, der die Fahrpläne der Deutschen Bahn in- und auswendig kennt, ist seit 2004 Landesvorsitzender des ökologisch ausgerichteten Verkehrsclubs Deutschland (VCD). Eine komplizierte Baumaßnahme werde „ohne ausreichende Risikoanalyse und ohne einen Plan B begonnen – am Ende steht hilflos die Einstellung des Gesamtverkehrs“, kritisiert Lieb.

Viel zu wenige Ausweichstrecken

Bereits vor der Sperrung sei die Rheintalbahn in ihren zweigleisigen Abschnitten „an der Belastungsgrenze“ gewesen, beklagt Andreas Kempff, der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein in Freiburg. Die Sperrung und ihre fatalen Folgen seien ein weiterer Beleg für die kritische Infrastruktur die Rheintalbahn. In der aktuellen Lage aufgrund der Havarie bei Rastatt räche es sich besonders, dass „in Ausweichstrecken zu wenig investiert wurde“. Zwischen Rastatt, der Südpfalz und dem benachbarten Elsass gebe es mehrere Ausweichtrassen – diese seien aber entweder nicht elektrifiziert, nur eingleisig oder „mit einer völlig veralteten Signaltechnik“ ausgestattet, sagt der Freiburger IHK-Mann. Gerade „an grenzüberschreitenden Verkehrsverbindungen“ sei gespart worden.

Bis zu 200 Güterzüge täglich verkehrten zwischen Karlsruhe und Basel, bestätigte Sven Hantel, der Konzernbeauftragte der Bahn für Baden-Württemberg. Noch sind Ferien – aber im September steigt die Zahl der Güterzüge wieder stark. Nur 13 Züge täglich könnten über die Gäubahn und die Strecke Horb-Plochingen umgeleitet werden, nur sieben sollen laut Hantel über die Südbahn zwischen Ulm und Friedrichshafen fahren. Doch diese Größen kann man bei einem Bedarf von 200 vernachlässigen.

Der Karlsruher Eisenbahnexperte Eberhard Hohnecker, seit 1994 Lehrstuhlinhaber für Eisenbahnwesen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), kritisiert Bahn und Politik: Sie hätten über Jahre versäumt, weitere Kapazitäten für den Güterfernverkehr auf der Nord-Süd-Achse zu schaffen. Die Politik habe „in aller Ruhe zugeschaut, keine Initiativen ergriffen“. Seit Jahrzehnten gebe es, bevorzugt im Wahlkampf, den Politikerspruch „Güter gehören auf die Bahn“. In Wirklichkeit interessiere das aber kaum jemanden. Die Lobby der Bahn sei bei weitem nicht so gut wie die der Autoindustrie.