Vor dem Rembrandtschulzentrum in Stuttgart-Möhringen erinnern Stolpersteine an drei Kleinkinder, die im Zwangsarbeiterlager der Hansa-Metallwerke starben. Zur Verlegung der Steine reiste der Neffe eines der Opfer aus der Ukraine an. Ein besonderer Moment.

Manteldesk: Sandra Hintermayr (shi)

Möhringen - Leise, fast schon schüchtern spricht Wjatscheslaw Iwanowitsch Wysokopojas. Er bedankt sich für den Stolperstein, für die Erinnerung an seine Tante, die er nie kennenlernen durfte. Nadja Jakimenko wurde nur sieben Monate alt. Sie starb im Zwangsarbeiterlager der Hansa-Metallwerke in Möhringen an Unterversorgung. Der 46-Jährige ist der Sohn von Nadjas Bruder Iwan, der erst geboren wurde, als Nadjas Mutter wieder in der ukrainischen Heimat war. „Meine Familie hat nicht über die Zeit in Deutschland gesprochen“, sagt Wjatscheslaw Iwanowitsch Wysokopojas. Für die Familie sei es eine große Überraschung gewesen, als plötzlich Deutsche Kontakt aufgenommen und nach seiner Tante gefragt hätten, übersetzt Alena Trenina vom Kulturamt Leinfelden-Echterdingen die Worte des Ukrainers.

 

Es ist der Stolpersteininitiative Stuttgart-Vaihingen zu verdanken, namentlich Elisabeth und Karl-Horst Marquart, dass der Verwandte von Nadja Jakimenko in Poltawa ausgemacht werden konnte. In den Papieren der Mutter Katerina ist der Geburtsort Gorislawtzi vermerkt, heute Krementschuker Rajon, Oblast Poltawa. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Zwangsarbeiterin in ihre Heimat zurückgeschickt.

Über die Stadt L.-E., Partnerstadt Poltawas, konnten die Verwandten ausgemacht und kontaktiert werden. Wjatscheslaw Iwanowitsch Wysokopojas entschied sich, der Stolpersteinverlegung im Gedenken an seine Tante und an zwei weitere verstorbene Kinder beizuwohnen. Für ihn ist es ein besonderer Moment. „Ich danke Ihnen für das Gedenken an diese Menschen“, sagt er.

Die Zwangsarbeiter litten Hunger und wurden diskriminiert

Nadja Jakimenko, Olga Tschetirbok und Lydia Martschenko wurden im Zwangsarbeiterlager der Hansa-Metallwerke geboren. Sie starben im Jahr 1944, nicht lange vor Ende des Zweiten Weltkriegs. „Die Kinder der sowjetischen Zwangsarbeiter galten als unerwünscht. Sie wurden bewusst unterversorgt“, sagt Karl-Horst Marquart. Als Todesursache wurden etwa Lungenentzündung oder der plötzliche Kindstod angegeben, sowie andere Umstände, die auf mangelnde Versorgung zurückzuführen sind, erklärt Marquart. Die Eltern waren in einer hilflosen Lage. Sie mussten unter widrigen Umständen leben und arbeiten, wurden diskriminiert und litten unter Hunger und mangelnder Hygiene.

Mehr als 120 Zwangsarbeiterlager gab es in Stuttgart, eines davon bei den Hansa-Metallwerken in Möhringen. Zu Kriegszeiten stellte Hansa seine Produktion auf Kriegswaffen um. Von 1942 bis 1945 waren in dem Lager an der heutigen Sigmaringer Straße insgesamt 370 sowjetische Männer und Frauen untergebracht. Sie fertigten Zünder für Handgranaten. Auch nach dem Ende des Kriegs war ihr Leiden nicht vorbei. „Die Rückreise in die Heimat dauerte Monate. Die Züge standen tagelang unversorgt an der Grenze. Die Menschen wurden wochenlang in Lagern des sowjetischen Geheimdiensts festgehalten. Es galt als Schande, für den ‚Feind’ gearbeitet zu haben“, liest die Schauspielerin und Regisseurin Hede Beck aus Aufzeichnungen ehemaliger Zwangsarbeiter vor.

Erinnerung an Grausamkeiten vor unserer Haustür

Es ist verständlich, dass dieses Kapitel in vielen Familien verschwiegen wurde, auf beiden Seiten. In Deutschland tragen die vom Kölner Künstler Gunter Demnig initiierten Stolpersteine dazu bei, dass die Opfer des Nationalsozialismus nicht in Vergessenheit geraten. Das Gelände der Riedseeschule und des Königin-Charlotte-Gymnasiums (KCG), wo die Steine mit den Messingtafeln in den Boden eingelassen wurden, ist unweit der Hauptverwaltung der Hansa-Werke an der Sigmaringer Straße. „Es ist noch gar nicht so lange her, dass hier bei uns solche Grausamkeiten begangen worden sind“, sagt Verkehrsminister Winfried Hermann. Es sei wichtig, daran zu erinnern, „wozu Menschen fähig sind und wozu Hass sie bringen kann“.

Für die Schüler im Rembrandtschulzentrum sind die Stolpersteine eine gute Gelegenheit, sich bewusst zu werden, was in der Vergangenheit hier vor Ort passiert ist, sagt der KCG-Lehrer Arne Lang. „Der Umgang mit dem Nationalsozialismus, das Aufarbeiten, das Gedenken sind immer Thema in der Schule. Durch die Stolpersteine bekommen die Schüler einen lokalen Bezug dazu“, sagt Lang.