Für Musiker ist die Straße die härteste Bühne der Welt. Für Passanten ist Straßenmusik dagegen oft eine harte Geduldsprobe. Mitten in diesem Spannungsfeld steht das Ordnungsamt.

Stuttgart - Wer Doris Day und das Lied „Que Sera, Sera“ liebt, muss diesen Saxofonisten nicht lieben. Er spielt das Ständchen unentwegt. Deshalb sind viele Händler und Wirte in der City froh, wenn der Bläser aus Osteuropa einen weiten Bogen um ihre Läden oder Lokale macht. Nicht etwa, weil er schiefe Töne produziert. „Que Sera, Sera“ und drei weitere Lieder beherrscht er im Schlaf. Aber genau das ist des Pudels Kern. „Der Bursche nervt“, sagt ein Wirt am Hans- im-Glück-Brunnen und nimmt gleich alle Straßenmusikanten in Sippenhaft: „Sie haben alle ein sehr begrenztes Repertoire, das ist das Problem.“

 

City-Managerin Bettina Fuchs weist schon seit Langem darauf hin, dass nicht alle Musiker die geltenden Spielregeln einhalten. „Das ist inzwischen eine Dauerbeschallung auf der Königstraße. Was zu viel ist, ist zu viel. Mir geht es nicht darum, etwas grundsätzlich zu verbieten. Es geht um das Maß.“

Abwechslung ist gefragt

Gäbe es mehr Abwechslung, wären die Musikanten der Straße womöglich eher willkommen. Gerade an so einem idyllischen Platz wie am Hans-im-Glück-Brunnen können Gitarren- oder Saxofonklänge eine noch stimmungsvollere Atmosphäre schaffen. „Aber so“, sagt der Wirt an der Geißstraße, „wird selbst beste Musik irgendwann zur Belästigung.“ Für Touristen oder Laufkundschaft möge die Straßenmusik ganz nett sein, aber Stammgäste heulen auf, wenn der Saxofon-Mann um die Ecke biegt.

Bei der Stadt heißt es dazu: „Straßenmusikanten können eine Stadt beleben, sie freundlicher und bunter gestalten. Allerdings sollten sich nicht nur die Passanten über die Beiträge freuen, sondern auch die Anlieger und die in der Innenstadt arbeitenden Menschen. Deshalb bitten wir sie, sich an die Spielregeln zu halten.“

Das Ordnungsamt versucht alle Jahre wieder, diese Spielregeln durchzusetzen. Aber Hermann Karpf, Referent des Ordnungsbürgermeisters Martin Schairer, hat das Ganze auch schon mal als „Sisyphosgeschäft“ bezeichnet. Kaum seien die Musiker verscheucht, kehrten sie kurze Zeit später wieder zurück.

Das Stadtrecht ist eindeutig

Alex, der Chef eines osteuropäischen Quartetts, wird sogar recht giftig, wenn man ihn vorzeitig des Platzes verweisen will. „Ich kenne die Regeln“, sagt der Geiger und zeigt auf die Uhr: „Ich darf noch hier sein.“ Denn eine dieser Regeln lautet: Es darf immer nur zur vollen Stunde, jeweils eine halbe Stunde lang musiziert werden. Zum Beispiel von 11 bis 11.30 Uhr. Zwischen 14.30 und 16 Uhr darf überhaupt nicht musiziert werden. Weitere Anordnungen des Stadtrechts sind: Lautsprecherwerbung ist nicht zugelassen, und Verkehrswege müssen begehbar bleiben. Verstärker und Blechblasinstrumente sind sowieso tabu.

Darüber lässt Hans-Jörg Longin vom Stuttgarter Ordnungsamt die Straßenmusiker per Faltblatt auf Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch aufklären. „Wir schießen nicht gleich mit Kanonen auf Spatzen“, sagt Longin, „bei Verstößen verwarnen wir die Leute erst zwei- oder dreimal.“ Erst dann komme es zur Anzeige oder zur Beschlagnahme der Instrumente. Diese könnten die Musiker in der Regel nach 14 Tagen wieder abholen. Nur bei elektronischen Verstärkern kennt der Vollzugsdienst kein Pardon. „Wenn das Gerät nach der ersten Verwarnung nicht abgeschaltet wird, ist es weg“, sagt Longin.

Verdienst: 15 Euro pro 30 Minuten

Kieran Hilbert, Straßenmusiker aus Leidenschaft und Gitarrist bei Udo Lindenberg, bestätigt diese freundliche Haltung der Ordnungskräfte: „Im Vergleich zu anderen Städten geht Stuttgart sehr gut mit Straßenmusikern um.“ Ein besonders hartes Pflaster sei dagegen Berlin. Dort seien schon Strafen in Höhe von 1500 Euro ausgesprochen worden. Das ist selbst für so passionierte Musiker wie Kieran Hilbert zu viel.

Berlin oder Stuttgart: Er ist Wiederholungstäter. Er muss immer wieder auf der Straße spielen. Nicht des Geldes wegen. Es sind nicht die 15 Euro, die er an einem Platz in einer halben Stunde einspielt. Für Hilbert ist der Boulevard die ultimative Herausforderung – die härteste Bühne der Welt. „Wer hier mit dem Publikum kommunizieren kann, der schafft es überall.“

Bei Aljoscha (41), Vater von drei Kindern, ist es anders. „Wir verdienen mit der Musik unseren Lebensunterhalt“, sagt der Kontrabassist von „Alex’ Band“ in gebrochenem Deutsch. Er würde seine Kunst auch lieber in einem Konzertsaal darbieten, aber zu Hause in Ungarn bekomme er für einen Abend nur zehn Euro Gage. „Würden Sie für zehn Euro einen ganzen Abend arbeiten?“, fragt er spitz und erklärt stolz, dass er am Konservatorium in Budapest studiert habe.

Hans-Jörg Longin kennt diese Biografien und zeigt auch hier großes Verständnis für das geschätzte Dutzend Dauermusiker in der Stadt und all die ungezählten durchreisenden Musikanten. Nur bei einer bestimmten Gruppe endet für ihn der Spaß. Zuletzt häuften sich Beschwerden über „EU-Mitbürger aus dem Osten mit Akkordeon“.

„Jene Gruppen haben mit ihren Akkordeonen vor den Kneipen eine regelrechte Kakofonie veranstaltet“, erzählt Longin, „die Folgen dieser Konzerte waren jedoch viel schlimmer.“ Die Akkordeonspieler hätten die Wirte erpresst. Frei nach dem Motto: „Wenn du willst, dass wir weiterziehen, dann bezahle uns.“ In diesen Fällen hat die Ordnungsmacht mit Anzeigen hart durchgegriffen. Zudem seien zahlreiche Instrumente beschlagnahmt worden. „So etwas können wir nicht dulden“, sagt Hans-Jörg Longin.