In Sillenbuch verkaufen zwei Männer eine angebliche Straßenzeitung. Die Inhalte haben aber so gar nichts mit dem Thema Obdachlosigkeit zu tun, und eine Verkaufsgenehmigung liegt auch nicht vor.

Der Mann mit der Wollmütze hat sich unmittelbar vor der Eingangstür des Bio-Supermarkts in Sillenbuch platziert. Auf einem Schemel sitzend verkauft er Zeitungen. Wer ablehnt, wird offensiv um eine Spende gebeten. Ein alltäglicher Vorgang? Die landesweit bekannte Straßenzeitung „Trott-war“ wird vor den Einkaufsläden an der Kirchheimer Straße in Sillenbuch immerhin schon seit Jahren von wechselnden Verkäufern angeboten. Das dünne Blättchen, das dieser und wenige Meter entfernt auch ein anderer Mann für 1,50 Euro feilbieten, ist indes ein anderes. „Straßenlicht“ heißt es, und wie zur Erklärung ist ein Foto eines scheinbar obdachlosen Mannes aufs Titelbild gedruckt.

 

Im Heft findet sich allerdings wenig bis gar nichts zum Thema Obdachlosigkeit, stattdessen ein Mix aus Coronarelativierungen, Impfkritik, Verschwörungstheorien und Politik- und Medienschelte neben zusammenhangslosen Texten zu Photovoltaik, Gas oder Reiseerfahrungen. Geschrieben wird über „Dauerpanikmacher“, „Meinungsdiktatur“ oder über „zulässige medizinische Versuche“. Die Telefonnummer, die im Impressum abgedruckt ist, ist nicht vergeben.

Auch in anderen Städten gibt es die dubiose Straßenzeitung

Helmut Schmid, der Chef der Stuttgarter Straßenzeitung „Trott-war“, kennt das dubiose Blatt, „das gibt es schon viele Jahre unter immer anderem Namen“. Er stellt klar: Während die 100 Stuttgarter „Trott-war“-Anbieter – landesweit sind es 200 – eine Verkaufsgenehmigung haben, gibt es eine solche fürs „Straßenlicht“ nicht. „Das ist illegal.“ Im Rathaus wird das bestätigt. „Für den Verkauf von Zeitungen auf der Straße ist eine Sondernutzungserlaubnis der Straßenverkehrsbehörde erforderlich. Diese wurde für das Straßenlicht weder beantragt noch erteilt“, erklärt Sprecherin Jana Steinbeck. Gleichwohl wird das Heft immer wieder angeboten, zuletzt auch in Dürrlewang. „In der Vorweihnachtszeit sind die massiv am Start, denn da sitzt der Rubel locker“, sagt Helmut Schmid.

Das Internet findet zahlreiche Presseartikel zu „Straßenlicht“. In Calw sind Verkäufer mit der obskuren Zeitung demnach bereits aufgefallen, in Emmendingen oder in Bamberg. In Rheinland-Pfalz ist der Verkauf Mitte 2021 durch die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion als landesweite Spendenaufsicht untersagt worden. Das berichtete die „Zeit“. Schmid hat sich nach eigenen Angaben bereits um eine ähnliche Regelung in Baden-Württemberg bemüht, doch „das geben die Landesgesetze nicht her“. Er sähe ein solches Verbot gern. „Die machen unseren Verkäufern das Geschäft kaputt und sind schlecht fürs Image von Straßenzeitungen.“ Er erzählt von fragwürdigen Verkäufern, die sich mit roten Westen tarnen, die denen der Trott-war-Leute gleichen, und falschen Spendensammlungen. „Man fühlt sich schon ein bisschen hilflos“, sagt Schmid.

Bei der Stadt und der Polizei ist man alarmiert

Bei der Stadt ist man alarmiert. Bisher sei der „Straßenlicht“-Verkauf nicht aufgefallen. „Es gab nur kürzlich einen Fall in der Tübinger Straße, wo eine Person einen abgelaufenen ,Straßenlicht’-Ausweis getragen und Rosen verkauft hat. Die Person hatte jedoch nur Exemplare von „Trott-war“ und eine ,Straßen Gazette’ dabei“, erklärt Jana Steinbeck. Man habe diese Vorgänge nun auf dem Schirm. „Der städtische Vollzugsdienst wird die genannten Verkaufstätigkeiten beobachten und mit erforderlichen Maßnahmen wie Platzverweisen reagieren“, sagt sie.

Helmut Schmid rät, das „Straßenlicht“ nicht zu kaufen. „Wenn man etwas tun will für die seriöse Zeitung „Trott-war“, ist es sinnvoll, die Polizei zu rufen“, sagt er, zumal nach seinen Informationen die „Straßenlicht“-Verkäufer nicht von ihrer Arbeit profitierten. Er sagt: „Das passiert nach Drückermanier. Die werden abkassiert.“ Auch die Polizeisprecherin Jennifer Janoska ermuntert, sich zu melden, wenn man den Verkauf der Zeitung beobachtet. Sie spricht von einer Ordnungswidrigkeit. Im November 2021 habe man in Degerloch „Straßenlicht“-Ausgaben bei einer Frau beschlagnahmt.