Der IT-Konzern könnte dem Geschäft mit dem Abruf von Musik im Netz einen entscheidenden Schub geben – und damit auch der Konkurrenz und den großen Plattenfirmen helfen. Die Künstler profitieren davon aber nach wie vor wenig. Mit interaktive Karte.

Stuttgart - Mit einem knappen und wenig beeindruckt klingenden „Oh ok“ reagierte der Spotify-Chef Daniel Ek via Kurznachrichtendienst Twitter auf Apples Ankündigung, künftig auch im Musik-Streaming-Geschäft mitmischen zu wollen. Ein weiterer Wettbewerber namens Rdio nahm Apple und sein Vorhaben auf die Schippe: „Welcome Apple. Seriously“ („Willkommen, Apple. Ernsthaft“), hieß es in einem Tweet des Musik-Streaming-Dienstes – eine Anspielung auf eine Werbeanzeige Apples aus dem Jahr 1981. Damals begrüßte Apple den Neu-Konkurrenten IBM mit ähnlichen Worten auf dem PC-Markt. Doch trotz scheinbarer Gelassenheit: die bereits etablierten Anbieter müssen sich auf einen ernst zu nehmenden Konkurrenten einstellen – denn die Branche traut Apple zu, dem Geschäft mit Musik auf Abruf im Netz einen entscheidenden Schub zu geben.

 

Dass auch Apple in den Streaming-Markt vordringen würde, war bereits erwartet worden. Den Weg dazu ebnete sich der iPhone-Hersteller im Mai vergangenen Jahres, als er für umgerechnet 2,7 Milliarden Euro den US-Kopfhöreranbieter Beats des Hip-Hop-Produzenten Dr. Dre und damit auch dessen Musik-Streaming-Dienst gekauft hatte. Vor gut zwei Wochen bestätigten sich die Vermutungen der Branche dann: Auf der Entwicklerkonferenz WWDC in San Francisco präsentierte Apple-Chef Tim Cook die neue Plattform unter dem Namen Apple Music – und sprach auch gleich von einer Revolution.

Apple tritt relativ spät in ein hart umkämpftes Umfeld ein

Als wirklich revolutionär gilt Apples neues Angebot, das Ende Juni in Deutschland und weiteren 99 Ländern gleichzeitig an den Start gegen soll, zumindest inhaltlich gesehen nicht. Zwar sind in der Plattform ein soziales Netzwerk sowie ein Radiosender integriert, aber abgesehen davon unterscheidet sich Apple Music kaum von den bereits bestehenden Musik-Streaming-Diensten wie dem Marktführer Spotify oder anderen Anbietern wie Deezer, Rdio, Rhapsody oder dem jüngst von Rapper Jay Z gestarteten Dienst Tidal. Für knapp zehn Dollar im Monat bekommen die Kunden der Apple-Music-App einen unbegrenzten Zugriff auf 30 Millionen Songs. Ähnlich viel Auswahl und vergleichbare Preise verlangen auch die meisten anderen Anbieter, die um die Anteile im Musik-Streaming-Geschäft buhlen (siehe Infokasten).

Allein für Deutschland listet der Bundesverband der Musikindustrie 15 verfügbare Streaming-Dienste auf. Apple gerät mit seinem Markteintritt also relativ spät in ein stark kompetitives Umfeld. Nichtsdestotrotz hat die Firma mit dem Apfel-Logo das Potenzial, den Musikmarkt umzukrempeln. Vor 14 Jahren hat Apple das bereits schon einmal geschafft. Ende der neunziger Jahre führte die Digitalisierung zur Veränderung des Musikmarktes. Tauschbörsen wie Napster tauchten auf und erleichterten plötzlich das Verbreiten raubkopierter Musik. Dies hatte zur Folge, dass die CD-Verkäufe einbrachen. Musiker und Musikverlage gingen leer aus. Der Technologiekonzern Apple unter dem bereits verstorbenen Gründer Steve Jobs startete im Jahr 2001 schließlich seine Download-Plattform iTunes, bei der Kunden einzelne Lieder oder komplette Alben gegen Bezahlung auf ihre iPhones, iPads und Rechner herunterladen können. Die Firma aus dem kalifornischen Cupertino wurde mit iTunes in kurzer Zeit zum weltgrößten Verkäufer von Musik.

Streaming wird sich gegenüber Downloads durchsetzen

Doch dieses Geschäftsmodell ist in Gefahr, denn der Trend in der digitalen Musikwelt, die den physischen Bereich mit CDs und Vinylplatten bereits seit Jahren immer weiter zurückdrängt, scheint klar: Mehr und mehr Konsumenten – vor allem junge – wollen lediglich einen Zugang zur Musik haben, anstatt Musik zu besitzen, glauben Experten. „Der Downloadbereich wird sicherlich noch eine ganze Weile existieren, weil man für das Streamen von Musik eine schnelle Internetverbindung braucht“, sagt Frank Schreiner vom Stuttgarter Digitalvertrieb Digdis. „Wenn sich das allerdings ändern wird, wird das Streaming auf absehbare Zeit zum Hauptmedium werden.“

Dass sich das Streaming-Modell – bei dem die Musik während der Übertragung über das Internet abgespielt und nicht auf dem Gerät gespeichert wird – gegenüber kostenpflichtigen Musikdownloads wahrscheinlich durchsetzen wird, belegen auch die aktuellen Zahlen des Branchenverbands IFPI: Danach konnte das Streamen von Musik im vorigen Jahr eine Wachstumsrate von 39 Prozent verzeichnen. Mit einem Volumen von 1,6 Milliarden Dollar machen Streaming-Angebote derzeit 23 Prozent der Umsätze im digitalen Musikgeschäft aus – Tendenz weiter steigend. Auf diesen Wandel des Konsumverhaltens reagiert Apple nun also mit einem eigenen Streaming-Dienst. Dass dieser der firmeneigenen Download-Plattform iTunes ganz offensichtlich Konkurrenz macht, scheint einkalkuliert zu sein. Wenn schon ein Dienst iTunes das Wasser abgraben soll, dann wenigstens einer von Apple selbst, lautet die unausgesprochene Devise.

Apple hat viele Vorteile gegenüber der Konkurrenz

Bislang nutzen die meisten Menschen, die Musik im Internet streamen, werbefinanzierte Gratisangebote, bei denen der Nutzer zwischendurch Reklame eingespielt bekommt und oftmals aus einer eingeschränkten Anzahl von Titeln keinen Song direkt auswählen kann. Kunden, die bezahlen, sind in der Minderheit. Nach eigenen Angaben hat der Marktführer Spotify mehr als 75 Millionen aktive Nutzer. 55 Millionen davon nutzen das kostenlose Angebot, nur 20 Millionen zahlen für die Musik. Beim französischen Anbieter Deezer sind es sechs von 16 Millionen. Doch auch das dürfte sich bald ändern: So kommt der Credit Suisse Global Music Report zu dem Ergebnis, dass der Umsatz der Abo-Modelle in den kommenden Jahren stark zulegen wird (siehe Grafik).

Daran dürfte auch Apple seinen Anteil haben, denn der Konzern will seinen Dienst ausschließlich als kostenpflichtigen Premiumservice ohne Werbeunterbrechung anbieten. Vieles spricht dafür, dass diese Strategie aufgehen könnte: „Apple hat den Vorteil, dass es mit einer gigantischen Nutzerbasis an den Start geht“, sagt Clemens Schwaiger, der bei der Beratung Arthur D. Little für das Geschäft mit digitalen Medien verantwortlich ist. Rund 800 Millionen Kunden zählt iTunes. Diese haben ihre Kreditkarten- oder Bankdaten bei Apple hinterlegt – und sind es bereits gewohnt, für Musik zu bezahlen. Momentan haben alle Streaming-Dienste zusammengenommen 41 Millionen zahlende Kunden. Wenn Apple also nur ein Zehntel seiner bereits vorhandenen iTunes-Nutzer dazu bewegen würde, auf Apple Music umzusteigen, dann wäre die Firma mit Abstand auf Platz eins unter den Streaming-Diensten.

Trotz vieler Nutzer schreiben alle Dienste rote Zahlen

Weil Apple mit dem Verkauf seiner Smartphones (iPhone) und Tablets (iPad) stolze Gewinne einfährt, verfügen die Amerikaner über gigantische Geldreserven von mittlerweile fast 200 Milliarden US-Dollar – und sind nicht darauf angewiesen, mit Musik-Streaming schnell Geld zu verdienen. Apple könnte es sich leisten, beim Streaming einige Zeit draufzuzahlen – sofern dadurch mehr Kunden in die eigene Hard- und Softwarewelt gelockt werden.

Hingegen müssen die bereits bestehenden Anbieter noch immer kämpfen, um sich behaupten zu können, denn trotz vieler Nutzer schreiben alle Dienste bislang rote Zahlen. Mehr als ein Dutzend europäische Anbieter mussten in jüngster Vergangenheit wieder aufgeben, so wie im April das deutsche Portal Simfy. Auch der Marktführer Spotify, der seit Oktober 2008 existiert, wirtschaftet nicht profitabel. 2014 verdreifachten die Schweden ihren Nettoverlust auf 162,3 Millionen Euro.

Doch auch wenn mit Apple ein neuer Wettbewerber in die Branche drängt, könnte sich dieser Markteintritt auch positiv auf die Konkurrenz auswirken. Experten trauen Apple Music nämlich zu, das Geschäft mit kostenpflichtigen Abos anzukurbeln. So sagte etwa der Chef des Musikkonzerns Sony Music, Doug Morris, kürzlich auf der Musikmessse Midem in Cannes, dass Apple den entscheidenden Impuls für das Geschäftsmodell geben und auch anderen Anbietern helfen könne. Er erwarte eine Flut, die allen Diensten Auftrieb gebe.

Für kleinere Labels dürfte es erstmal schwieriger werden

Profitieren werden vermutlich auch die Musiklabels, vor allem die großen, denn je mehr Streaming-Dienste ihre Musik lizenzieren möchten, desto besser können sie um die Konditionen feilschen. So habe es bereits in den Wochen vor der Ankündigung von Apple Music Hinweise darauf gegeben, dass die Verantwortlichen der großen Labels auf eine höhere Beteiligung an den Erlösen pochen, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg.

Für kleine und mittlere Labels dagegen dürfte es erst einmal schwierig werden. Wie in dieser Woche bekannt wurde, werden die Plattenfirmen in der kostenlosen dreimonatigen Testphase, die Apple den Kunden anbietet, nicht vergütet. Das sei für unabhängige Labels wirtschaftlich gesehen nicht zu stemmen, so die Kritik der Branche. „Dies kann für unsere Mitglieder und deren Künstlerinnen und Künstler zu erheblichen Umsatzeinbußen bei den Lizenzeinnahmen führen, im Extremfall kann dies existenzgefährdend sein“, heißt es etwa in einem offenen Brief des Verbands unabhängiger Musikunternehmen (VUT) an Apple.

Überhaupt werden die Künstler, die die Hauptleistung bringen, vom Boom – sofern er kommt – wohl wenig profitieren. In der Wertschöpfungskette verdienen sie von den drei Beteiligten traditionell am wenigsten. In der Branche ist es üblich, dass die Streaming-Dienste durchschnittlich 70 Prozent des Umsatzes als Lizenzgebühren an die Musikkonzerne zahlen. Die Künstler erhalten davon lediglich einen Bruchteil – je nachdem, welche Verträge ausgehandelt wurden und wie oft ein Lied abgerufen wurde. Vor Kurzem hat der Musiker Geoff Barrow, Bassist der britischen Band Portishead, mitgeteilt, dass die Songs der Gruppe insgesamt 34 Millionen Mal gestreamt worden seien. Das Einkommen daraus: 1700 Pfund, umgerechnet etwa 2361 Euro.

Beliebte Plattformen

Deezer:
Die französische Streaming-Plattform Deezer, die im Jahr 2007 ihren Dienst aufgenommen hat, verfügt über mehr als 35 Millionen Titel. Neben Musik sind hier auch Hörbücher zu finden. Deezer wird als Gratisdienst mit Werbeunterbrechung sowie als Abo für knapp zehn Euro im Monat angeboten.

Rdio: 2010 wurde Rdio (32 Millionen Titel) von den Erfindern der Telefonie-Software Skype gegründet. Rdio bietet zwei kostenpflichtige Varianten: den ausschließlichen Zugriff über den Computer und das Internet (knapp fünf Euro im Monat) oder einen zusätzlichen Abruf über mobile Geräte (knapp 10 Euro).

Rhapsody: Wie Apple Music bietet auch der US-Streaming-Dienst Rhapsody, der 2011 die Tauschbörse Napster kaufte und in Europa auch unter dieser Marke auftritt, nur ein Bezahl-Abo an – in zwei Ausführungen: Für knapp acht Euro kann man auf die mehr als 30 Millionen Lieder über den Computer zugreifen, für knapp zehn Euro gibt es den Abruf auch mobil.

Spotify: Spotify ist mit seinem Dienst einer der wohl bekanntesten Streaming-Plattformen. Die schwedische Musikdatenbank umfasst mehr als 30 Millionen Titel. Es gibt einen werbefinanzierten Kostenloszugang sowie ein Abo für knapp zehn Euro im Monat. Wie Deezer bietet Spotify neben Musik auch Hörbücher an.

Tidal: Der US-Rapper Jay Z hat Tidal im März gekauft und gemeinsam mit Künstlern wie Madonna, Kanye West, Rihanna, Daft Punk und Alicia Keys einen Relaunch gestartet. Tidal ist damit der erste Dienst, an dem diverse Musiker persönlich beteiligt sind. Ein Monatsabo ist mit knapp 20 Euro vergleichsweise teuer.