Was derzeit im Tus Stuttgart passiert, hätte das Zeug, den viertgrößten Verein Stuttgarts in eine tiefe Krise zu stürzen. Tut es aber nicht, weil die Mitglieder sich einfach nicht dafür interessieren wollen. Warum ist das so?

Degerloch - Unterschiedlicher könnte die Wahrnehmung kaum sein. Wer sich das Hickhack in der Führungsspitze des Tus Stuttgart anschaut, muss unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass in Stuttgarts viertgrößtem Verein mehr als nur der Haussegen schief hängt. Der Club von der Degerlocher Waldau scheint sich ein Stück weit selbst zu zerfleischen. Seltsam mutet es da an, dass sich die große Mehrheit des 5000 Mitglieder zählenden Vereins scheinbar kein bisschen darum schert. Wie kann das sein? Eine Spurensuche vor Ort soll das klären.

 

Die beginnt am Spielfeldrand eines Fußballplatzes mit einem älteren Herrn, der – so scheint es – sein halbes Leben auf der Waldau verbracht hat. Geschichten und Anekdoten kennt er genug, auch die pikanten. Aber zu dem, was da gerade in seinem Tus passiert, hat er erstaunlich wenig zu sagen. „Wissen Sie“, sagt er, „je mehr Ehrenamtliche unterwegs sind, umso größer der Streit“. Eitelkeiten seien ganz wichtig. Wenn junge, dynamische Leute auf ältere treffen, die oft blockieren, könne es schon mal unangenehm werden, so seine einfache Analyse. „Aber das ist in jedem Verein so.“

Auf der Mitgliederversammlung dürfte es knallen

Freilich passiert es nicht aller Tage, dass eine ganze Abteilung im Streit herausgeworfen werden soll. Eben das droht nämlich den Tänzern des Tus, die vermutlich ein gar zu großes Eigenleben geführt haben. Vordergründig geht es um die Vergütung von Trainern, um Geld und um Kompetenzen. Tatsächlich kann man sich wohl schlicht nicht leiden, Schlichtungen scheiterten, und als der Tus-Vorstand die Tänzer zum 30. Juni rauswerfen wollte, kassierte ein Gericht die Entscheidung wieder, weil nur der Verein als Ganzes so etwas durchdrücken kann, und nicht ein dreiköpfiger Vorstand.

Zeitgleich – und auch das ist erstaunlich – schafften es dann auch noch einige Sportler, genügend Unterstützung im Tus dafür zu finden, dass der Vorstand rausgeworfen werden soll. Die Tänzer allein sind für diesen Vorstoß nicht verantwortlich, es gärt auch an anderer Stelle, unter anderem beim Fußball oder beim Tennis. Platt gesagt, werden demnächst also Köpfe rollen. Nur wo, das ist die Frage. Dementsprechend hitzig dürfte es am Freitagabend, 26. Juli, bei der eiligst einberufenen Mitgliederversammlung zugehen. Es gibt nur zwei Tagesordnungspunkte: Gehen die Tänzer? Geht der Vorstand? Gehen beide, oder geht keiner?

Der Vergleich mit dem Ringerstreit in Musberg hinkt

Mit diesen Fragen kann die junge Fechterin, die eben ihr Fahrrad abschließt, so gar nichts anfangen. „Ich hab davon nichts mitbekommen“, sagt sie und hat ganz offenkundig keine Ahnung von den Querelen in ihrem Verein. Einer Mutter, die gerade ihr Kind vom Turnen abholt, geht es ähnlich. Erst gerade eben, als sie das Plakat für die Versammlung gesehen hat, hat sie sich erkundigt. Ihr Fazit: „Das betrifft mich nicht. Da gehe ich nicht hin.“ Und auch die Frau, die sich seit einem Jahr im vereinseigenen Fitnessstudio fit schwitzt, hat von dem Durcheinander erst aus der Presse erfahren. „Vor Ort hab ich davon nichts mitbekommen“, sagt sie. Ihre Neugier ist aber größer. Sie wird bei der Mitgliederversammlung dabei sein. „Sonst wäre ich da aber nicht hingegangen", sagt sie.

Wer wissen will, wie so ein Streit auch anders eskalieren kann, braucht nur nach Musberg zu schauen. Die Konstellation ist ähnlich, das Resultat aber grundverschieden. Dort sind es die Ringer, die mit dem Rest des Vereins über Kreuz liegen. Inzwischen ist nicht nur der Verein gespalten, sondern auch der ganze Ort. Der Streit zieht sich durch Familien, man wechselt die Straßenseite; Einzelhändler achten darauf, dass sie nicht die Unterschriftenlisten der einen Seite bei sich auslegen, um es sich nicht mit der anderen Seite zu verscherzen. Denn der TSV Musberg ist Musberg, der Ort zählt 5000 Einwohner, der Verein 2200 Mitglieder.

Der Tus Stuttgart ist in Degerloch schlicht nicht verwurzelt

Auf der Waldau verhält es sich anders. Der Tus ist kaum in Degerloch verwurzelt, die Sportler und Trainer kommen aus dem weiteren Umland, man trifft sich vielleicht auf dem Parkplatz, aber nicht zum Feierabendbier. Der Verein wird inzwischen wie ein Unternehmen geführt. Viele kennen sich gar nicht; man bleibt lieber in den jeweiligen Abteilungen unter sich.

So wie die drei Basketball-Väter, die auf der Treppe vor der Ruth-Endress-Halle in der Sonne sitzen und über alles mögliche reden, nur nicht über den Zwist weiter oben. „Bei uns ist alles harmonisch“, meint einer. „Was die anderen machen, interessiert uns nicht.“ Sein Freund geht noch einen Schritt weiter. „Mitgliederversammlung? Ist mir egal. Ich gehe am Samstag lieber auf das Sommerfest.“