Der frühere VW-Patriarch Ferdinand Piech hat Aufsichtsräte angeblich früher als bisher bekannt über Hinweise auf manipulierte Abgaswerte informiert. Die Aufsichtsräte bezichtigen ihn der Lüge.

Stuttgart - Der frühere VW-Patriarch Ferdinand Piëch gerät mächtig unter Druck, nachdem er das Präsidium des VW-Aufsichtsrats stark belastet hat. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil wies am Donnerstag die Behauptung Piëchs scharf zurück, wonach Weil ebenso wie andere Mitglieder dieses innersten Machtzirkels bereits lange vor Bekanntwerden des Abgasskandals informiert worden sei. Weil sagte, er habe im Frühjahr 2015 von keiner Seite Hinweise auf die Manipulation von Dieselmotoren erhalten, und bezichtigte Piëch indirekt der Lüge. Bekannt wurde der Abgasskandal erst im September 2015. Damit steht der Vorwurf im Raum, die Aufsichtsräte hätten ihre Pflichten als Kontrolleure nicht erfüllt oder gar etwas vertuscht. Er bedaure sehr, so Ministerpräsident Weil, „dass ein Mann mit unbestreitbaren Verdiensten wie Herr Ferdinand Piëch inzwischen zu Mitteln greift, die man neudeutsch eigentlich nur als Fake-News bezeichnen kann“. Das Land Niedersachsen ist mit 20 Prozent zweitgrößter Anteilseigner des Wolfsburger Autobauers.

 

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht gegen Aufsichtsräte

Der VW-Aufsichtsrat hatte bereits am Mittwochabend auf Medienberichte über belastende Aussagen Piëchs reagiert. Der „Spiegel“ schrieb in der Online-Ausgabe, dass der frühere Aufsichtsratschef bei einer Befragung durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig im Dezember 2016 ausgesagt habe, die vier Mitglieder des Präsidiums frühzeitig über Hinweise auf den Dieselbetrug informiert zu haben. Neben Ministerpräsident Weil gehörten diesem Gremium Betriebsratschef Bernd Osterloh, der ehemalige IG-Metall-Chef Berthold Huber sowie Wolfgang Porsche an. Der Aufsichtsrat teilte nun mit, dass Piëch im Frühjahr 2016 im Rahmen der internen, unabhängigen Untersuchung durch die US-Kanzlei Jones Day eine ähnliche Darstellung gegeben habe. Die Aussage sei eingehend und detailliert überprüft worden. Sie sei insgesamt als unglaubwürdig eingestuft worden. Auch hätten sämtliche betroffenen Mitglieder des Aufsichtsrats alle Behauptungen Piëchs „klar und nachdrücklich als falsch zurückgewiesen“.

Dies wird auch durch die Mitteilung der Braunschweiger Staatsanwaltschaft gestützt. Es würden keine Ermittlungsverfahren gegen Ministerpräsident Weil oder andere Mitglieder des Aufsichtsrats geführt, teilte die Behörde mit. Ob dies auch für den ehemaligen Aufsichtsratschef Piëch gilt, blieb zunächst offen. Für Nachfragen war die Staatsanwaltschaft am Donnerstag nicht zu erreichen.

Aktionärsschützer fordern Sonderprüfung

Die Aktionärsschützer von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) bekräftigen nach dem Schlagabtausch zwischen Piëch und den Aufsichtsräten ihre Forderung nach einer unabhängigen Sonderprüfung der Vorgänge. „Eine Sonderprüfung war noch nie so wichtig wie heute“, sagte DSW-Präsident Ulrich Hocker. Beim letzten Aktionärstreffen im vergangenen Juni hatte die DSW ohne Erfolg einen entsprechenden Antrag gestellt. Danach wollten sie diese Forderung gerichtlich durchsetzen.

Bisher habe es dazu eine Sitzung vor dem Landgericht Braunschweig gegeben. Der Richter habe die Forderung sehr positiv beurteilt, sagte Hocker und zeigte sich nach der jüngsten Entwicklung zuversichtlich, dass die Aktionärsschützer eine Sonderprüfung durch einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer doch noch durchsetzen können.

Hocker kann sich vorstellen, dass Piëch zwar den ehemaligen VW-Chef Martin Winterkorn vor Bekanntwerden des Abgasskandals über Hinweise auf die Manipulation von Dieselmotoren informiert habe, nicht jedoch die Aufsichtsräte. Sonst hätte der Machtkampf zwischen Piëch und Winterkorn vor zwei Jahren einen anderen Verlauf genommen, gibt der Aktionärsschützer zu bedenken.

Piëch soll Winterkorn nach Medienberichten vor zwei Jahren im März am Rande des Genfer Autosalons auf einen möglichen Dieselbetrug angesprochen haben. Winterkorn habe entgegnet, er habe alles im Griff. Kurz darauf ließ der Aufsichtsratschef via „Spiegel“ dann überraschend mitteilen, er sei auf Distanz zu Winterkorn.

Verliert Piëch den Aufsichtsratssitz bei Porsche?

Dies war der Beginn eines Machtkampfs, der im April 2015 damit endete, dass Piëch von seinem Kontrolleursposten bei VW zurücktrat. Wenn Piëch die Aufsichtsräte über ein Gespräch mit Winterkorn informiert hätte, hätten sie wohl eher dem Vorstandschef und nicht dem Chefkontrolleur kritische Fragen gestellt. Dann hätte wohl eher Winterkorn das Feld räumen müssen als Piëch. Winterkorn trat erst im September 2015 zurück, als der Abgasskandal den größten europäischen Autokonzern in die schwerste Krise der Unternehmensgeschichte gestürzt hatte.

Als einzigen Aufsichtsratsposten im VW-Imperium behielt Piëch nach seinem Sturz einen Sitz im Kontrollgremium der Stuttgarter Porsche Automobil Holding. Über diese Beteiligungsgesellschaft, die 52 Prozent der Stimmrechte an VW hält, hat der PS-Clan der Porsches und Piëchs das Sagen im Wolfsburger Autokonzern. Auf Ferdinand Piëch entfallen dem Vernehmen nach etwa 14 Prozent der Aktien. Vorsitzender des Aufsichtsrats der Porsche Holding ist Wolfgang Porsche. Dass Piëch mit seiner jüngsten Attacke auch seinen Cousin belastet hat, dürfte in der Familie, die sich mit öffentlichen Äußerungen stets sehr zurückhält, großen Gesprächsbedarf verursachen. Ohnehin gilt das Verhältnis zwischen den beiden Familienstämmen Porsche und Piëch von jeher als etwas heikel. Die beiden letzten Hauptversammlungen der Porsche Holding hat Ferdinand Piëch geschwänzt. Er sagte seine Teilnahme kurzfristig ab. Nun könnte der fast 80-Jährige seinen Aufsichtsratsposten verlieren. Weil die Arbeitnehmervertreter beschlossen haben, ihr Amt im Aufsichtsrat ruhen zu lassen, müssen bei der Hauptversammlung am 30. Mai auch die Kapitalvertreter neu gewählt werden. Nach der jüngsten Eskalation ist nur schwer vorstellbar, dass Piëch bleibt. Sämtliche Stimmrechte liegen bei den beiden Familienstämmen.