Seit dem Jahr 2016 kämpft die Stadt Stuttgart nach einem Bürgerbegehren dafür, die Infrastruktur in ihren Besitz zu bekommen. Vor dem Landgericht scheiterte sie. Das Oberlandesgericht hat nun eine neue Sicht auf die Dinge.

Stuttgart - Im Streit über die Nutzung ihrer Fernwärme-Infrastruktur hat die Energie Baden-Württemberg (EnBW) am Donnerstag vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart ein harsches Urteil kassiert. Der 2. Zivilsenat unter Vorsitz von Richter Christoph Stefani entschied, dass der Energiemulti keinen Anspruch darauf hat, das Netz in Stuttgart weiter betreiben zu dürfen.

 

Der 1994 mit der Stadt geschlossene und Ende 2003 ausgelaufene Konzessionsvertrag sei befristet gewesen und enthalte keine Regelungen für eine Verlängerung. Das falle „maßgeblich ins Gewicht, die EnBW muss Nachteile hinnehmen“, sagte Stefani bei der Urteilsbegründung in einem wegen der Corona-Krise verwaisten Gerichtssaal. Die EnBW könne auch keinen neuen Konzessionsvertrag verlangen, das Kartellrecht sehe einen solchen Anspruch nicht vor, zumal die Stadt deutlich gemacht habe, die Fernwärmeversorgung in Eigenregie zu nehmen. Das OLG geht in seinem Urteil sogar noch weiter und vollzieht damit eine deutliche Wende zur Vorgängerentscheidung des Landgerichts. Das hatte die Klage der Stadt auf Herausgabe des Netzes abgewiesen und der EnBW-Klage auf Einräumung der Wegerechte weitgehend stattgegeben. Nun stellte das Oberlandesgericht fest, dass die Stadt einen Anspruch darauf hat, dass der Konzern das 218 Kilometer lange Fernwärmenetz praktisch rückstandsfrei beseitigt, also bis zur letzten Schraube und dem letzten Datenkabel abbaut. Den Streitwert hat das Gericht mit 30 Millionen beziffert.

Es geht um 218 Kilometer Rohre

Mit dem Urteil gewinnt die Stadt, die das Verfahren auf der Grundlage eines Bürgerbegehrens betreibt, Oberwasser. Der Gemeinderat hatte im Februar 2016 die Klage beschlossen. Nach der Niederlage vor dem Landgericht gab es 2019 im Rat Stimmen, die zu einer Verhandlungslösung rieten – auch weil mit dem Rechtsstreit wertvolle Zeit für die Energiewende verloren gehe. Am Donnerstag forderte OB-Kandidat Martin Körner (SPD), die EnBW dürfe „die Energiewende in Stuttgart nicht weiter blockieren“.

Haus und Grund will Schlichtung

Der Stuttgarter Haus- und Grundbesitzerverein hat am Donnerstag eine „professionelle Schlichtungslösung“ angeregt und als Moderatoren nicht nur für den Fernwärmestreit den vormaligen Ministerpräsidenten Günther H. Oettinger (CDU) und den früheren Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ins Spiel gebracht. Sie könnten auch den vergangene Woche vom Landgericht auf Oktober vertagten Prozess um die Übernahme der Wasserversorgung und die Übernahme bestimmter Strom- und Gasnetze verhandeln. Bei Strom und Gas sind die Kontrahenten aber fast durch. Dazu will der Bundesgerichtshof am 7. April urteilen.

Beide Streitparteien haben in der Verhandlung zur Fernwärme Ende Februar deutlich gemacht, dass sie weder an einen Vergleich noch an eine Schlichtung denken, sondern auch dieses Thema bis in die letzte Instanz durchfechten und letztlich ein Grundsatzurteil erreichen wollen. Die EnBW teilte nach dem Urteilsspruch mit, dass die Vorstellung des Netzrückbaus absurd sei. Das Gericht fordere eine Kooperation, zu der man „nach wie vor bereit“ sei. Die urbane Energiewende forciere man seit Jahren.

Die Stadt hat dafür ihre Ausgangslage am Donnerstag zwar verbessert, sich aber mit ihrem Anspruch auch nicht durchsetzen können. Sie pochte darauf, mit Vertragsablauf automatisch Eigentümerin der Anlagen geworden zu sein. Oder aber einen Übertragungsanspruch zu haben. Dafür wollte sie die EnBW entschädigen. Das Urteil des OLG (2 U 82/19) markiert letztlich ein Patt. Nun ist wohl der Bundesgerichtshof am Zug.