Angetrieben vom Sachsen Kretschmer (CDU) sprechen sich mehrere Ministerpräsidenten vor allem aus Ostdeutschland gegen Strafmaßnahmen für Russland aus. Speziell in der Südwest-CDU werden die Sanktionen hartnäckig verteidigt.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die vom sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) ausgelöste Kontroverse um den Bestand der Russland-Sanktionen wird auch zu einem Konflikt zwischen alten und neuen Bundesländern. „Wir wollen, dass die Sanktionen so schnell wie möglich enden“, hatte Kretschmer nach seinem Treffen mit Präsident Wladimir Putin in St. Petersburg betont. Er führe die Debatte mit einer „großen positiven Zugewandtheit zu Russland und seinen Menschen“. In der westdeutschen CDU bewirkt sein Kreml-freundlicher Kurs anhaltenden Gegenwind.

 

So widerspricht der Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter: „Russland hat Völkerrecht gebrochen und zeigt sich bislang nicht offen für eine konstruktive Lösung in der Ostukraine“, sagte der Aalener Abgeordnete unserer Zeitung. „Deshalb bestehen die Wirtschaftssanktionen der EU, deren Fortbestand für die Glaubwürdigkeit und den Zusammenhalt des Westens entscheidend ist.“ Der Vorschlag des Ministerpräsidenten sei „in diesem Zusammenhang wenig hilfreich“, lässt er Kretschmer wissen. Kiesewetter ist ein ausgewiesener Russland-Kenner. Ihn treibt aber auch die Sorge um, dass es ein strategisches Ziel von Putin sein könnte, Europa zu spalten.

„Richtige Antwort auf Interventionspolitik Putins“

Auch Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), die Anfang Juni mit einer 40-köpfigen Delegation zur Kontaktpflege in Moskau und St. Petersburg weilte, beharrt auf den Strafmaßnahmen, die „als Antwort auf die Interventionspolitik von Präsident Putin richtig waren und sind“. Erst bei einem „substanziellen Einlenken der russischen Regierung sollten diese Sanktionen gelockert oder aufgehoben werden“, wie sie unserer Zeitung sagte. Mittelfristig müsse es zudem das Ziel sein, „über Dialog und vertrauensbildende Maßnahmen wieder zu einer verlässlichen Partnerschaft mit Russland zu kommen“.

Dazu habe sie mit ihrer Reise beitragen wollen. Der Zeitpunkt für einen Neuanfang in den Wirtschaftsbeziehungen sei „gerade jetzt besonders günstig“. Denn der angestrebte digitale Wandel der russischen Industrie eröffne baden-württembergischen Unternehmen insbesondere im Maschinenbau und in der Automobilindustrie gute Geschäftschancen – „wie wir erfahren haben, mit oftmals hohen Gewinnmargen“. Immerhin sei. Deutsche Technologien seien nach wie vor in Russland hoch geschätzt

Zuvor hatte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer auf den Sanktionen beharrt – ansonsten entstehe der Eindruck, dass Europa es hinnehme, wenn Völkerrecht gebrochen werde, argumentierte sie.

Ministerpräsidenten spüren die AfD im Nacken

In Ostdeutschland hingegen hat Kretschmer parteiübergreifend Zuspruch erhalten: Alle Ministerpräsidenten schlossen sich seiner Haltung mehr oder weniger an – am deutlichsten der Thüringer Bodo Ramelow (Linke), aber auch Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern und der Brandenburger Dietmar Woidke (beide SPD), der feststellte: „Wir in Ostdeutschland haben sicher einen anderen Blick auf Russland als viele Westdeutsche.“ Reiner Haseloff (CDU) aus Sachsen-Anhalt warb – etwas verhaltener – für „konstruktive Gespräche“ mit Moskau, um die Frage der Sanktionen und die Verletzung des Völkerrechts auf der Krim sowie in der Ostukraine gemeinsam zu lösen.

Schwesig war am Wochenende ebenfalls in St. Petersburg – um „Brücken zu bauen“, wie sie sagte. Unterstützt wurde sie nun vom Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. „Zu glauben, dass die Verantwortlichen in Russland durch die Sanktionen zu einer anderen Politik zu bewegen sind, ist naiv“, sagte der Sozialdemokrat.

In Sachsen und Brandenburg (jeweils am 1. September) sowie Thüringen (27. Oktober) wird bald gewählt. Die Meinungsforscher sagen ein weiteres Erstarken der AfD voraus: Laut der neuen Umfrage von Infratest dimap liegt sie in Brandenburg mit 21 Prozent mittlerweile drei Punkte vor SPD (18), CDU und Grünen (je 17) sowie der Linken (14). Nach Insa-Erhebung für Sachsen wiederum käme die AfD aktuell auf 25 Prozent der Zweitstimmen, die CDU nur noch auf 24 Prozent. Linke und Grüne liegen mit je 16 Prozent gleichauf. Die SPD stürzt weiter ab und erreicht nur sieben Prozent.

Insofern sind die Äußerungen der Ministerpräsidenten auch als Signale der Angst vor den Rechtspopulisten zu sehen, die ihrerseits eine intensive Nähe zu Russland pflegen. Die AfD sprach folglich von einem „allzu durchsichtigen Manöver“ Kretschmers.

Auch der Maschinenbauverband mahnt: Sanktionen prüfen

Die 2014 von der EU eingeführten Sanktionen umfassen insbesondere ein Waffenembargo, Einreiseverbote für 170 Russen und diverse Handelsbeschränkungen. Auch der einflussreiche Maschinenbauverband VDMA setzt sich mittlerweile dafür ein, die Sanktionen gegen Russland zu überdenken. Deren „politische Auswirkungen tendieren gegen null“, stellte Verbandspräsident Carl Martin Welcker fest. Zugleich seien die Auswirkungen auf das Russlandgeschäft von deutschen Firmen jedoch „immens“. 2014 hatte Sachsen zum Beispiel noch Waren im Wert von 1,1 Milliarden Euro in die Russische Föderation exportiert – 2018 waren es nur noch 537 Millionen Euro.