Darf man die wissenschaftliche Methode als Ideologie bezeichnen? Nein, sagt der zweite Kommentator Kai Kupferschmidt in einem Gastbeitrag, denn sie ist der beste Weg zur Erkenntnis. Wer das relativiert, verkennt die Bedeutung der empirischen Prüfung.

Stuttgart - Mein Kollege Alexander Mäder ist schon ein Früchtchen. Da twittere ich von der AAAS-Tagung in Chicago, dass ich gerne einmal mit dem Science-Fiction Autor Kim Stanley Robinson über etwas diskutieren würde – und dann übernimmt Alexander einfach den Part.

 

Robinson hat in Chicago gesagt, die wissenschaftliche Methode sei eine Ideologie. Alexander findet das richtig. Ich nicht. Warum? Kurz gesagt: wählt man eine breite Definition des Begriffs „Ideologie“ mag der Satz stimmen, sagt aber kaum etwas aus. Wählt man eine engere Definition, ist er völlig falsch – und spielt auch noch denen in die Hände, die außer Ideologie tatsächlich nichts anzubieten haben.

Und jetzt die lange Fassung:

Versteht man unter „Ideologie“ einfach nur eine Reihe von Überzeugungen, die von einer Gruppe von Menschen geteilt werden, dann kann die wissenschaftliche Methode vielleicht als „Ideologie“ bezeichnet werden. Schließlich gehören bestimmte Grundsätze zum Rüstzeug jedes anständigen Forschers: dass außergewöhnliche Behauptungen außergewöhnliche Belege brauchen zum Beispiel, oder dass Hypothesen sich im Experiment bewähren müssen. Die wissenschaftliche Methode in diese Kategorie „Ideologie“ zu stecken, ist allerdings banal. Denn es sagt zum Beispiel nichts darüber aus, ob die Grundsätze dieser „Ideologie“ im Gegensatz zu denen anderer Ideologien wahr sind oder ob es alternative Wege zur wissenschaftlichen Erkenntnis gibt.

Wissenschaftliche Aussagen müssen sich an der Realität messen

„Robinson stellt die wissenschaftliche Methode aber als etwas dar, an das man nicht zwingend glauben muss“, schreibt Alexander. Genau so habe ich Robinson auch verstanden – und hier liegt für mich das Problem. Denn es ist die gleiche Argumentation, mit der Kreationisten in den Biounterricht drängen oder Homöopathieanhänger die „Schulmedizin“ angreifen: Der eine glaubt an Globuli, der andere an Galilei. Alles „nur“ eine Frage der Ideologie.

Aber die wissenschaftliche Methode ist eben mehr als eine Ideologie. Sie ist der beste Weg, den die Menschheit gefunden hat, zuverlässige Erkenntnisse über die Welt zu gewinnen. Und sie ist deshalb zuverlässig, weil sie verlangt, dass sich jede Aussage über die Realität an der Realität messen lassen muss. Alexander schreibt, es gebe unterschiedliche Wege zur wissenschaftlichen Erkenntnis. Aber ich kann in seinen Beispielen keine anderen Wege erkennen. Jedes Modell, das aus Daten der Genetik oder der Hirnforschung erstellt wird (egal ob für den Menschen verständlich oder nicht), ist mit Vorhersagen verknüpft. Verhält sich das Modell anders als die Realität, muss es überarbeitet werden. Und die String-Theorie wird gerade deshalb von manchen Forschern (wie Lee Smolin) als unwissenschaftlich kritisiert, weil sie kaum falsifizierbar ist.

Oder nehmen wir die „unbekannte Stoffwechselstörung“, die Alexander erwähnt: Was daran verlangt nach einem anderen Weg der Erkenntnis? Ein Forscher könnte den Patienten untersuchen und feststellen, dass sich bei ihm Fettmoleküle in der Zelle ansammeln. Er könnte die Hypothese aufstellen, dass der Patient eine Mutation in einem Gen trägt, das für den Abbau von Fetten nötig ist. Er könnte das Erbgut des Patienten mit dem von gesunden vergleichen und in verschiedenen Genen Unterschiede feststellen. Er könnte das Erbgut von Mäusen so verändern, dass es diese Änderungen widerspiegelt, und die Hypothese aufstellen, dass die Maus mit der ursächlichen Mutation ebenfalls erkranken wird. Er könnte in Kliniken auf der ganzen Welt Patienten mit ähnlichen Mutationen suchen und die Hypothese untersuchen, dass sie ähnliche Symptome haben. Das alles wäre die wissenschaftliche Methode, denn bei jedem Schritt könnte die Wirklichkeit dem Forscher einen Strich durch die Rechnung machen.

Der Duden bietet gleich drei Definitionen für das Wort Ideologie an, und interessanterweise lautet eine einfach nur: „weltfremde Theorie“. Diese Bedeutung schwingt mit, wenn man die wissenschaftliche Methode als „Ideologie“ bezeichnet, dabei kann man die wissenschaftliche Methode kaum falscher beschreiben. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind permanent der Wirklichkeit ausgesetzt. Die Aufgabe von Forschern ist es gerade nach Widersprüchen zwischen beiden zu suchen – und dafür ist ihnen jedes neue Instrument recht. Schon deshalb braucht Alexander sich nicht zu sorgen, dass „eine bestimmte Arbeitsweise der Wissenschaft“ sich „zementieren“ könnte. Sollte das wirklich das beste Argument für die Relevanz der Wissenschaftsphilosophie sein, dann hat Lawrence Krauss wohl recht und sie ist irrelevant.

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