Praxis statt Theorie: Studenten haben bei einer Summerschool ihre eigene Mission geplant – und erfolgreich absolviert. In Lampoldshausen bei Heilbronn starteten sie ihre Rakete. Sie muss 500 Meter hoch steigen und am Fallschirm wieder landen.

Lampoldshausen - Der Countdown läuft und die Aufregung ist groß: Wird sich die Rakete hoch genug in die Luft erheben und am Fallschirm unbeschadet landen? Wird der eingebaute Satellit seinen Dienst tun? Nach wochenlanger Arbeit steht die erste von zwei selbst konstruierten Raketen in Position. Die Teilnehmer der 14. Ariane-Sommerschule warten gespannt auf einem Acker in der Nähe des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Lampoldshausen bei Heilbronn auf den Start. Näher als 100 Meter dürfen sie jetzt nicht mehr an die Abschussrampe.

 

„Insgesamt sind es 26 Studierende aus ganz Europa“, sagt Tobias Neff, die noch bis heute in der Region Heilbronn-Franken zu Gast seien. Drei Wochen haben sie sich intensiv mit dem Thema Raumfahrt beschäftigt. Die handverlesenen Teilnehmer kommen von Universitäten und Hochschulen aus Belgien, Frankreich, Italien und Spanien. Die Sommerschule wird abwechselnd in verschiedenen europäischen Ariane-Städten ausgetragen, den Kommunen der Communauté des Villes Arianes.

Einmal gestartet, lässt sich die Rakete nicht mehr steuern

Heute zeigen die Nachwuchsingenieure, was sie gelernt haben. „Gleich zu Anfang wurden drei Teams gebildet“, erklärt Neff, der beim DLR das Schülerlabor leitet. Zwei Teams bauten Raketen, die nun zum Abschluss der Sommerschule gegeneinander antreten. Die Hülle des ersten, etwa eineinhalb Meter großen Geschosses besteht aus Kohle- und Glasfaser, die sie selbst laminiert und in Form gebracht haben. Die Rakete muss 500 Meter hoch fliegen und die Landung heil überstehen. Auch der Rumpf muss langsam wieder vom Himmel fallen und darf sich nicht ungebremst ins Erdreich bohren. Die Flugbahn soll stabil sein und das ist bei Modellraketen eine technische Herausforderung, denn es gibt keine Möglichkeit der Steuerung.

Tobias Neff erklärt warum: „Bei der Ariane 5 ist es möglich, die Düse des Haupttriebwerkes zu schwenken“, damit wäre sie steuerbar. Die Modellrakete hingegen fliegt mit einem Festbrennstoff, der einmalig gezündet wird. Er brennt innerhalb von einer Sekunde ab und beschleunigt damit das Flugobjekt auf eine Geschwindigkeit von 100 Meter pro Sekunde. Weil kein Eingriff möglich ist, müssen die Raketen der Studenten aerodynamisch stabilisiert werden.

In jeder Raketenspitze befindet sich ein Satellit. Einen hat eine Studentengruppe gemeinsam mit Ansgar Meroth an der Hochschule Heilbronn entwickelt, der zweite wurde von Schülern im Forschungszentrum Herrenberg gebaut. Beide Satelliten sollen Daten über Temperatur, Beschleunigung und Druck zur Erde senden. „Der Sensor meldet auch, wenn die Rakete kippt“, erklärt Neff. „Ist sie waagerecht, wird der Fallschirm ausgeworfen.“ Die Raketenspitze wird abgetrennt und landet am Fallschirm. Zur großen Freude klappt alles, beide Raketen starten und landen einwandfrei und die Satelliten liefern die Informationen. „Ich bin sehr zufrieden“, freut sich Tobias Neff.

Ziel des Projekts: internationale Kooperation üben

Damit die Studierenden diese kniffeligen Aufgaben lösen konnten, wurden sie gut vorbereitet. Zur Seite stand ihnen ein Team von Ingenieuren und Wissenschaftlern. So vermittelte Uwe Apel von der Hochschule Bremen die notwendige Aerodynamik und Kurt Rauschnabel von der Hochschule Heilbronn beantwortete alle Fragen rund um die Physik. „Die meisten Teilnehmer studieren Luft- und Raumfahrttechnik oder Maschinenbau“, sagt Neff. Viele befänden sich im vierten Semester, andere seien Doktoranden oder stünden schon im Berufsleben. „Obwohl alle Teilnehmer über großes fachliches Wissen verfügen, fehlt ihnen meist die praktische Anwendung“, denn die gebe es im Studium kaum. Deshalb half ihnen der DLR-Modellraketenexperte Markus Rehberger und zeigte wie die Fertigung an der Dreh- und Fräsmaschine funktioniert. „Wir haben auch Tests an Prüfständen mit Hybrid- und Feststoffantrieben gemacht“, berichtet Johann Bernhardt. „Wir sollten herausfinden, welche Treibstoffe wann eingesetzt werden.“ Für die Modellrakete fiel die Wahl auf den Festtreibstoff BC125. Er brennt und beschleunigt schnell und sorgt dadurch für einen stabilen Flug.

Vorträge und Exkursionen rundeten das Programm ab. „Im Zentrum stand dabei der Kontakt zu Experten aus ganz Europa“, sagt Neff. Die Vorträge waren durchweg in Englisch. „Damit hatte ich anfangs Probleme“, bedauert eine Teilnehmerin. Mit dem Sprachkurs, der täglich angeboten wurde, konnte sie ihre Kenntnisse auffrischen. „Die Nachwuchswissenschaftler setzen hier nicht nur theoretisches Wissen in praktische Anwendungen um“, erklärt Johann-Dietrich Wörner, der Vorstandsvorsitzende des DLR. In der Raumfahrt seien Missionen und Projekte nur durch die Zusammenarbeit über nationale und kulturelle Grenzen hinaus erfolgreich, auch das würden die Teilnehmer erleben: „Mit solchen Veranstaltungen wird deshalb die Grundlage für den Erfolg der europäischen Raumfahrt in der Zukunft gelegt.“

Das bestätigt Ansgar Meroth, Projektleiter seitens der Hochschule Heilbronn: „Hier entstehen Freundschaften fürs Leben“, sagt er. Damit diese Bindungen Bestand haben, finden Nachtreffen statt. Sabine Wilky, Teilnehmerin einer früheren Sommerschule, schwärmt von den ereignisreichen Tagen. Beim Nachtreffen in Frankreich flog sie bei einem Parabelflug mit, absolvierte eine Unterwasser-Schwerelosigkeit-Simulation und einen Fallschirmsprung. Die Gruppe europäischer Studenten sei „wieder zusammengeschweißt“ gewesen wie ein dreiviertel Jahr zuvor während der Sommerschule.

Elisabeth Wild, diesjährige Teilnehmerin, weiß noch nicht, ob sie zum Nachtreffen fliegt: „Es soll nach Französisch-Guayana gehen“, sagt sie. Dort starten die Ariane-Trägerraketen. Trotzdem hofft sie, dass die Freundschaften bleiben. Für Anthony und Ludivine Boche-Sauvan ist das ganz sicher: Die beiden haben sich bei der Sommerschule 2007 in Lampoldshausen kennengelernt und diesen Mai geheiratet.