Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung will zeigen, dass das Interesse der Bürger an der Arbeit des Bundestages gering ist. Doch der Studie fehlt es an Überzeugungskraft.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Nicht erst seit der Bundestag sich eine Änderung der Regierungsbefragung verordnet hat, ist es en vogue, die oft starren Abläufe im Plenum zu kritisieren. Auch die Bertelsmann-Stiftung bläst jetzt in dieses Horn. Zwar ist es ihr gutes Recht, Reformen anzuregen, auch wenn ihre Ideen nicht gerade originell sind. Schließlich wünscht sich auch die Opposition eine regelmäßige Befragung der Kanzlerin. Dass die Organisation jedoch ihre Reformwünsche in eine „Studie“ kleidet, die Wissenschaftlichkeit schuldig bleibt, wirft kein gutes Licht auf sie.

 

Kernthese ist, dass das Plenum des Bundestags das Zentrum der Demokratie sein müsste, tatsächlich aber in nahezu systemgefährdender Weise in den Windschatten der Öffentlichkeit geraten sei. Im Wesentlichen stützt das Papier mit dem Titel „Sichtbare Demokratie“ seine These auf zwei Beobachtungen: Erstens hätten 14 wichtige Print- und Onlinemedien im Parlamentsjahr 2013/14 lediglich 275 Artikel über „die Arbeit des deutschen Bundestags“ veröffentlicht; zum Auftakt der ersten Großen Koalition 2005/2006 seien es noch 468 Texte gewesen. Maschinell erfasst wurden ausschließlich Texte über das Geschehen im Plenarsaal selbst. Dass nur ein kleiner Teil der Arbeit des Parlaments dort stattfindet, und dass – geschätzt – mehr als 75 Prozent sämtlicher Medienberichte über Innen- und Außenpolitik von den Beiträgen der Fraktionen und der Abgeordneten leben, blenden die Autoren aus. Da sind die Bürger selbst – ausweislich der in der Studie zitierten Umfrage – schlauer: Sie fühlen sich mit 62 Prozent ausreichend über den Bundestag informiert.

Zweitens haben laut der Untersuchung zuletzt nur 27 Prozent der Bürger eine Bundestagsdebatte in Radio oder TV verfolgt, in den Siebziger- und Achtzigerjahren seien es noch mehr als die Hälfte gewesen. Allzu bang müsste das Staunen darüber nicht ausfallen, wenn man die Medienentwicklung mit bedächte: 1984 – dem Zeitpunkt der jüngeren Vergleichsuntersuchung – gingen gerade Sat 1 und RTL an den Start. Die meisten privaten TV- und Radiosender gab es noch nicht, die Onlinemedien waren noch nicht erfunden. Heute haben Zuschauer und Hörer neben den politischen Programmen viel mehr Auswahl.