Bei einem Forschungsprojekt wird untersucht, ob sich Bewegung positiv auf den Verlauf von Depressionen, Schlafstörungen und Co. auswirkt. Einer der Standorte ist Bietigheim-Bissingen.

Ludwigsburg: Andreas Hennings (hen)

Bietigheim-Bissingen - Was mit einem erfolgreichen Pilotprojekt der Universität Tübingen begann, zieht derzeit auch in der Region mit einem größer angelegten Forschungsprojekt erste Kreise. Unter dem Motto „ImPuls“ wird untersucht, inwieweit sich der Krankheitsverlauf und die Symptome von Menschen verändern, die unter Traumata, Schlafstörungen, Angstzuständen oder Depressionen leiden und an Bewegung und Ausdauersport herangeführt werden.

 

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Über allem stehen die Fragen: Wirkt sich der Sport positiv auf diese Menschen aus? Und ist das in einer Form nachweisbar, sodass entsprechende Angebote einmal von den Krankenkassen unterstützt werden könnten? Bislang haben Patienten mit psychischen Erkrankungen in der ambulanten Akutversorgung kaum Zugang zu Angeboten mit Sport- und Bewegungstherapie.

Projekt erfährt großen Zulauf

Das Projekt läuft seit Frühjahr und noch bis kommenden Sommer an zehn Standorten in Baden-Württemberg. Der Kreis Ludwigsburg ist über das Reha-Zentrum Hess in Bietigheim-Bissingen abgedeckt. 24 Personen durchlaufen hier bislang das sechsmonatige Programm. Und die Nachfrage ist weiter vorhanden: Die nächste Gruppe mit sechs Teilnehmern steht in den Startlöchern. Am Standort Stuttgart sind für Januar und Februar zwei weitere Gruppen vorgesehen. „Landesweit sind wir inzwischen bei mehr als 300 Personen zwischen 18 und 65 Jahren, und das obwohl es ein Gruppenprojekt während Corona ist. Wir bekommen sechs bis zehn Anfragen pro Woche“, sagt Sebastian Wolf, der von einem „extrem großen Zulauf“ spricht. Die Zahl von mindestens 400 Projektteilnehmern möchte man noch erreichen.

Wolf wirkt an der Uni Tübingen in der Bildungs- und Gesundheitsforschung, hatte bereits das dortige Pilotprojekt mit 80 Personen mit initiiert und leitet nun auch das Forschungsprojekt. Dieses falle in eine Zeit, in welcher der Bedarf noch einmal erhöht ist. Sebastian Wolf macht deutlich: „Schon vor Corona litt jeder Fünfte in Deutschland unter einer psychischen Erkrankung.“ Und mit der Pandemie steige die Anzahl der Betroffenen weiter signifikant an.

App fürs Training im Alltag entwickelt

Bei der Vorstudie habe man bereits „sehr, sehr gute Ergebnisse“ gehabt. Heißt: Der Sport hat geholfen. Ursprünglich war es um die Idee gegangen, mit der Bewegung und dem Ausdauersport zumindest die mehrmonatige Wartezeit zu überbrücken, die Patienten in der Regel vor ihrem ersten Beratungstermin etwa beim Psychotherapeuten haben. „Bei der Studie jetzt geht’s aber auch um Menschen, die schon in einer Therapie sind oder auch Medikamente nehmen“, sagt Wolf.

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Der Auswahlprozess ist entsprechend detailliert. Erst nach einem Telefongespräch, einer Aufklärung vor Ort und einer zweistündigen Diagnostik wird trainiert. Anfangs in der Kleingruppe mit 13 Einheiten in vier Wochen. Danach fünf Monate lang eigenständig mit Telefonkontakt zum Therapeuten und mit einer eigens entwickelten App, die das Integrieren des Sports in den Alltag erleichtern soll. Denn ein Ziel ist es auch, dass die Menschen die Trainingseinheiten selbst angehen – und sich langfristig für Ausdauersport motivieren können.

Ergebnisse werden 2023 erwartet

Auch wenn die Ergebnisse der Vorstudie positiv waren und einzelne Rückmeldungen ebenfalls in die richtige Richtung deuten: Die Erkenntnisse zu ImPuls werden erst im Frühjahr 2023 durch die Ludwig-Maximilians-Universität und die Technische Universität München erwartet, die das Projekt mit der Perspektive auf Psychologie und -therapie sowie auf Gesundheitsökonomie begleiten. 2024 wird dann voraussichtlich der Abschlussbericht fertig sein.

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Erst nach diesen Ergebnissen wird sich besser sagen lassen, ob und inwieweit Therapien dank des Sports reduziert oder sogar abgebrochen können, und ob die Bewegung einen Einfluss auf die Notwendigkeit von Medikamenten hat. „Sollten die Ergebnisse tatsächlich einen Nutzen zeigen, darf man zumindest optimistisch sein, dass es einmal eine Förderung durch Krankenkassen geben wird“, sagt Wolf. Die haben schließlich selbst ein großes Interesse an der Studie, lagen die Ausgaben für Behandlungen in diesem Krankheitsbereich 2015 bundesweit doch mehr als 44 Milliarden Euro. Im Erfolgsfall könnte ImPuls bundesweit in die Ausbildung verankert – und auf Felder wie Schizophrenie oder ADHS ausgeweitet werden.

Das Forschungsprojekt ImPuls

Förderung
Unterstützt wird das Projekt vom Innovationsfonds des Bundesgesundheitsministeriums – mit rund drei Millionen Euro. Neben der Uni Tübingen begleiten es die LMU und die TU München, die AOK, die Techniker und der Deutsche Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie.

Teilnahme
ist nur möglich für Versicherte der AOK Baden-Württemberg und der Techniker. Interessierte müssen zwischen 18 und 65 Jahren alt, derzeit sportlich inaktiv sein und an einer der folgenden Erkrankungen leiden: Depression, Agoraphobie, Panikstörung, Posttraumatische Belastungsstörung, nicht organische Insomnien. Das für Bietigheim-Bissingen zuständige Projektteam ist erreichbar unter 0 71 42 / 46 98 220 und bietigheim-bissingen@impuls.uni-tuebingen.de. Die Teilnehmer werden in zwei Gruppen aufgeteilt, die sich im Ablauf und in der Begleitung unterscheiden.