Eine Studie zeigt, warum Langzeitarbeitlose überdurchschnittlich oft nicht wählen gehen. Das Ergebnis zeichnet ein düsteres Bild vom Sozialstaat Deutschland. Langzeitarbeitslose werden demnach systematisch ausgegrenzt – auch politisch.

Nürnberg – Warum gehen Menschen nicht wählen? Schon länger ist aus verschiedenen Studien bekannt, dass keine Gruppe so viele Nichtwähler hat wie die der Langzeitarbeitslosen. Doch woran liegt das? Dazu haben das Sozialunternehmen Neue Arbeit Stuttgart und der Evangelische Fachverband für Arbeit und soziale Integration nun eine Studie herausgegeben. Unter dem Titel „Unerhört! Langzeitarbeitslose Nichtwähler melden sich zu Wort!“ wurden 70 Langzeitarbeitslose darüber befragt, wie sie zur Politik stehen. Damit sollen die Ursachen der demokratieskeptischen Haltung gefunden werden. Das Besondere dabei: Befragt wurden sie nicht von Forschern, sondern von ebenfalls Betroffenen. -

 

Fühlen sich ignoriert

In ihrem Fazit zeichnen die Autoren ein düsteres Bild. Langzeitarbeitslose sind zur „Nichtexistenz verdammt“. Das liege nicht immer nur an der Geldknappheit an sich, sondern auch daran, dass sie sich für ihre Situation schämen. Die Betroffenen arbeiten somit selbst daran, nicht gesehen zu werden. Außerdem würden sie sich ignoriert fühlen. „Viele der Interviewten haben in den Interviews gefordert, dass man ihnen zuhört und ihre Anliegen ernst nimmt“, schreiben die Autoren. Ausgegrenzt würden die Menschen dadurch, dass die Hartz-IV-Sätze nur für das Nötigste zum Leben reichen. Dadurch müssen die Betroffenen an allen Ecken und Enden sparen und jeden Cent dreimal umdrehen.

Totalverweigerung gegenüber dem politischen System

„Knappheit in allen Belangen“ urteilt Frank Schultheiß, Professor für Soziologie an der Universität St. Gallen. Er hat die die Studie wissenschaftlich begleitet. Und deshalb gehen die Leute nicht zur Wahl: „Es ist eine Totalverweigerung gegenüber dem politischen System, das die Menschen in dieser Lage belässt.“ Der Professor zitiert einen der Teilnehmer: „Die Politiker scheren sich keinen Dreck um uns.“ Dazu kommt das Gefühl, mit der Wahl nichts bewirken zu können. Warum dann noch an die Urne treten? Und dabei sind die Betroffenen laut der Studie gar nicht der Meinung, dass die Politik machtlos wäre – sie handelt nur weit unter ihren Möglichkeiten.

Zeichen für Zerfall der Gesellschaft?

„Eine Gesellschaft ist nur dann intakt, wenn sich möglichst viele Menschen aktiv einbringen können, statt perspektivlos am Rand bleiben zu müssen“, erklärt Michael Bammessel, Präsident der Diakonie in Bayern. Die Studie ist für ihn ein alarmierendes Zeichen für den zunehmenden Zerfall der Gesellschaft in „Schichten, Milieus und Gruppen“. Und das führe zu „Ungerechtigkeit, Unfrieden und Ausgrenzung.“ „Das, was man das Existenzminimum nennt, erlaubt in Wirklichkeit keine menschenwürdige Existenz“, resümiert Schultheiß. „Menschen werden nicht integriert, sondern in Wirklichkeit sozial verwaltet und ausgrenzt – mit allen Folgen für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“